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Archiv-Artikel

16 Wochen Ausstand

Heute vor 50 Jahren traten in Schleswig-Holstein die Metallarbeiter in Streik. Am Ende waren sie der Gleichbehandlung mit den Angestellten einen Schritt näher gekommen

VON BERNHARD RÖHL

Das Jahr 1956 hatte den Bundesbürgern entscheidende Veränderungen gebracht: Im Februar verließ die FDP in Bonn die Adenauer-Koalition. Am 7. Juli beschloss der Bundestag das Wehrpflichtgesetz für die Bundeswehr. Am 17. August verbot der Bundesgerichtshof die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Am 16. Oktober bildete Bundeskanzler Adenauer sein Kabinett um, und Franz Josef Strauß konnte fortan die Bundeswehr kommandieren.

Im Oktober 1956 leitet Otto Brenner, zuvor mehrere Jahre Bezirksvorsitzender in Hannover, seit vier Jahren die IG Metall. Im Herbst scheiterten in Schleswig-Holstein Verhandlungen zwischen IG Metall und Unternehmerverband über die Lohnfortzahlung für gewerbliche Arbeiter und Arbeiterinnen für die Dauer von sechs Wochen – was praktisch eine Gleichstellung mit den Angestellten bedeutet hätte. Die Gewerkschaft forderte zudem ein zusätzliches Urlaubsgeld von 7,50 Mark täglich sowie eine Erhöhung der Urlaubstage.

Bei der Urabstimmung entschieden sich 88 Prozent der Teilnehmer für den Arbeitskampf. So standen am 24. Oktober 1956 die sprichwörtlichen Räder still in Schleswig-Holstein: Rund 35.000 MetallarbeiterInnen, hauptsächlich auf Werften beschäftigt, legten die Arbeit nieder. An jenem Morgen waren in Kiel die sonst so überfüllten Straßenbahnen und Dampfer, die zu den Howaldts-Werken und der MaK fuhren, beinahe leer. Auch bei Bohm & Kähler stand alles still. „Dieser Betrieb wird bestreikt“, stand auf den roten Plakaten vor den Werkstoren.

In Lübeck streikten die abhängig Beschäftigten in sieben Betrieben, darunter den Flenderwerken und Ohrenstein & Koppel. Auf den Werften in Lauenburg ruhte die Arbeit und vor der Kremer-Werft in Elmshorn lag die Streikbeteiligung bei 100 Prozent. In Flensburg beteiligten sich auch die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter am Arbeitskampf. Auch in Rendsburg, wo die Werft Nobiskrug damals etwa 1.000 Lohnempfänger beschäftigte, blieben nicht gewerkschaftlich Organisierte genauso der Arbeit fern.

Die Hamburger Bezirksleitung der IG Metall veröffentlichte tags darauf die ersten Streik-Nachrichten. Das Blatt erwiderte das allgemeine publizistische Trommelfeuer gegen die Forderungen der Beschäftigten. Die Gewerkschaft verwies auf die finanziellen Verluste im Krankheitsfall und betonte, dass die Unternehmer die Forderungen der streikenden Arbeiter durchaus erfüllen könnten: Die nämlich wollten für die ersten Krankheitstage die selben Bedingungen wie die Angestellten. Unterstützt wurde der IG-Metall-Streikausschuss von zahlreichen Kulturschaffenden, die Filmvorstellungen und Varietéshows organisierten. Weil sich der Arbeitskampf bis über den Jahreswechsel 1956/57 hinzog, wurden für die Streikenden auch Weihnachtsfeiern ausgerichtet.

Als sie das Ergebnis eines ersten Vermittlungsversuches ablehnte, hatte die Gewerkschaft die Streikenden hinter sich: 97,4 Prozent stimmten zu. Am 30. Januar dann widersetzten sich die Mitglieder einem Kompromiss, dem die Gewerkschaftsführung zugestimmt hatte: Ablehnend votierten 76,2 Prozent. Gegen einen weiteren Kompromiss stimmten erneut 57,7 Prozent der Streikenden, was zur Fortsetzung des Arbeitskampfes aber nicht mehr ausreichte.

Nach 16 Wochen endete der Ausstand: Am 15. Februar 1957 kehrten die Metaller in die Betriebe zurück. Der Bundestag in Bonn beschloss im folgenden Juni das Gesetz über die Lohnfortzahlung. Darin wurde festgelegt, dass ArbeiterInnen vom dritten Krankheitstag an 90 Prozent ihres Nettolohns erhalten sollten. Erst ab 1961 galt die Regelung, dass Erkrankte bereits ab dem zweiten Ausfalltag ein entsprechendes Einkommen beziehen. Und die völlige Gleichstellung von Angestellten und Arbeitern trat nicht vor dem 1. Januar 1970 in Kraft.

Nach dem Streik verklagten die Unternehmensverbände die IG Metall auf Schadensersatz: Die Gewerkschaft hatte noch während der Schlichtungsphase die Urabstimmung anberaumt. Durch diese Kampfmaßnahme sei die Friedenspflicht verletzt worden. Das Bundesarbeitsgericht schloss sich dem an und verurteilte die IG Metall am 31. Oktober 1958 zu einer hohen Entschädigungszahlung. Auf deren Entrichtung verzichteten die Arbeitgeber – vielleicht, um die Gewerkschaft auf Wohlverhalten festzulegen. Und indem das Gericht bereits Urabstimmungen als Arbeitskampfmaßnahmen wertete, schwächte das Urteil nicht zuletzt die Arbeitnehmerposition in Tarifauseinandersetzungen.