Syrische Beschneidung

COMIC Riad Sattouf wuchs in Algerien und Syrien auf. Nun erscheint sein Buch „Meine Beschneidung“ auf Deutsch. Es erzählt von Riten, die wehtun

Denn nicht nur sein „Rüsselpenis“ unterschied sich von den „Champignonköpfen“ seiner Cousins

VON WALDEMAR KESLER

Der 1978 in Paris geborene Riad Sattouf nimmt sich am liebsten der Nöte der Adoleszenz an. In seinem Kinodebüt „Jungs bleiben Jungs“ („Les Beaux Gosses“, Frankreich 2009) begleitet er seinen Protagonisten bei den ersten tapsigen Liebesschritten. Dafür wurde er als Regisseur mit dem französischen César in der Kategorie „bestes Erstlingswerk“ ausgezeichnet. Für das Satiremagazin Charlie-Hebdo verarbeitete er drei Jahre lang wöchentlich auf der Straße aufgeschnappte Gesprächsfetzen und Szenen von Jugendlichen. Diese Eindrücke sind in dem 2007 in Frankreich erschienenen Band „La vie secrète des jeunes“ („Das geheime Leben der Jugend“) versammelt. Dort tritt besonders eindrücklich zutage, dass Riad Sattouf Situationen liebt, die zu betrachten auch mal wehtun können.

Als „Meine Beschneidung“ 2004 in Frankreich erschien, erregte die Geschichte schnell größere Aufmerksamkeit. Es ist eine Mischung aus einem Comic und einem Bilderbuch, eine illustrierte Geschichte der Angst. Sattouf erzählt aus kindlicher Perspektive, was ihm als Achtjährigen in Syrien widerfuhr.

Eigentlich hätte er, der kleine Riad, damals froh sein müssen, als sein Vater ihm ohne weitere Erklärung ankündigte, dass er bald beschnitten würde. Denn nicht nur sein „Rüsselpenis“ unterschied sich von den „Champignonköpfen“ seiner Cousins. Da Riad auch noch blond war, schimpften ihn die Mitschüler einen „Israeli“. Eine schwere Bürde in Syrien. In Riads Kinderwelt gehörte man entweder zu den Israelis, über die der Lehrer in der Schule täglich Tiraden abließ, oder man war wie Arnold Schwarzenegger in dem Brachialepos „Conan der Barbar“ – also ein heroischer „Cimmerier“, ein stolzer Krieger.

Kinder suchen stets nach etwas, um sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen. Sattouf zeichnet mit humorvollem Spott von seiner damals allerdings recht brutalen Kinderumgebung. Auf Riads Fragen ist väterliche Prügel oftmals die einzige Antwort. Und so erscheinen die anatomischen Verformungen, die kürbisartig gezeichneten Köpfe, die generell zum Stil von Riad Sattouf gehören, hier wie die Folge einer alltäglich ausgeübten Gewalt.

Wenn der Stock zerbricht

Wenn dem Klassenlehrer der Stock zerbricht, muss jeder Schüler einen neuen mitbringen und dabei darauf achten, dass er auch stabil genug ist, um den Zuchtritualen standzuhalten. Riad zeichnet und erzählt in naiver Anmutung von den schulischen Maßregelungen, den Stockhieben auf die nackten Fußsohlen. Es geht darum, Cimmerier zu werden.

Je mehr Riad freundliche Beziehungen fehlen, desto inniger wird die zu seinem Penis, den er bald in höchstem Maße gefährdet sieht. Über Monate hinweg wächst in ihm die Angst, kastriert zu werden. Die Beschneidung ist in dieser ländlich rückständigen Umgebung ein unhinterfragter, religiöser Akt, ein männlicher Initiationsritus. Ohne jegliche Erklärung soll dem Siebenjährigen sein bestes Stück zurechtgestutzt werden.

Der einzige Freund, den Riad in seiner Not hat, ist eine Art überdimensionaler Transformer mit obszönem Lendenschurz. Sein Vater gaukelt Riad vor, dass er die Plastikfigur als Belohnung für die erlittene Qual erhalten würde. Dieser „Goldorak“ steht in Riads kindlicher Fantasie für die Männlichkeit, die er nach der Beschneidung verkörpern wird. Endlich wird er in den Kreis der Cimmerier aufgenommen sein.

Bei der beklemmenden Lage, in der sich der kleine Riad befindet, ist es befreiend komisch zu sehen, wie der Junge immer wieder zu dem Punkt gelangt, an dem ihm sein Penis doch näher ist als seine Freunde, die er mit dem Goldorak beeindrucken möchte. Das Kind würde in Kauf nehmen, ein angeblich unbeschnittener Israeli zu bleiben.

Aus der kindlichen Perspektive entwickelt Sattouf einen niedlich erscheinenden Humor. Doch um das gezeichnete Kind herum wimmelt es von Männlichkeitssymbolen, Frauen tauchen nur abstrakt in den Erzählungen auf. Die vielen Einzelbilder vor weißem Hintergrund bilden so gesehen eine grimmig formulierte Kritik. Die Beschneidung fand ohne Narkose statt. Und am Ende erfährt der malträtierte Riad, dass auch Israelis beschnitten sind, sein schmerzhaftes Opfer also auch in dieser Hinsicht völlig sinnlos war.

Riad Sattouf: „Meine Beschneidung“. Aus dem Französischen von Martin Budde, Handlettering von Hartmut Klotzbücher. Reprodukt, Berlin 2010. 100 Seiten, farbig, 14 Euro