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Archiv-Artikel

Arm, aber sehr lostig

„Berlin ist pleite“ als Party-Refrain und die philosophischen Satzmonstren von Heidegger als leichtfüßiger Rap: Thomas Pigor hat das kabarettistische Chanson auf die Höhe des 21. Jahrhunderts gebracht. Mit dem Hitler-Reggae zu Walter Moers’ „Der Bonker“-Clip erschließen sich ihm nun ganz neue Fankreise

Von DANIEL BAX

Ein knollennasiger Comic-Hitler sitzt mit seinem Schäferhund „Blondi“ in der Badewanne, während über ihrem Bunker die alliierten Luftwaffengeschwader hinwegdröhnen. Er köpft noch eine letzte Flasche Chantré und ärgert sich über seinen Widersacher Churchill. Die Hitler-Gummienten säuseln zum Reggae-Beat: „Adolf du alte Nazi-Sau. Kapitulier doch endlich.“ Doch Adolf bleibt stur uns singt nur: „Nö, nö, nö“.

Seit dieser herrlich bekiffte Zeichentrick-Clip im Internet steht, ist er schon über 3,5 Millionen Male angeklickt worden: ein Rekord. Weniger bekannt als Walter Moers, aus dessen Feder die Comic-Vorlage stammt, ist der Sänger, der dem Comic-Hitler das schnarrende Timbre geliehen hat: Thomas Pigor, Kabarettist aus Berlin mit markant in die Stirn gekämmten Haaren. Gemeinsam mit seinem Bühnenpartner Benedikt Eichhorn am Klavier hat er in den vergangenen zehn Jahren das kabarettistische Chanson rundum modernisiert und auf die Höhe des 21. Jahrhunderts gebracht. „Pigor singt. Eichhorn muss begleiten“ heißt ihr Programm, mit dem sie zu den Stammkünstlern der Berliner „Bar jeder Vernunft“ zählen. Gerade bringen sie dort eine Art Werkschau ihrer vergangenen zehn Jahre auf die Bühne. Nun erschließen sich ihnen über den „Bonker“-Rap ganz neue Fankreise.

„Unser Publikum nimmt das wahr. Aber das Moers-Publikum ist noch nicht in Scharen zu uns übergelaufen“, wiegelt Thomas Pigor ab. Er sitzt in seiner Parterrewohnung in Berlin-Schöneberg mit Blick auf einen begrünten Innenhof und gießt noch eine Tasse Tee ein. Er ist schon lange im Humor-Geschäft, seine ersten Aktivitäten datieren aus den Achtzigerjahren. Als er sich 1995 mit Benedikt Eichhorn zusammentat, „wollten wir ursprünglich Popmusik machen“, gesteht Pigor. „Aber als wir uns mit einem Demo-Band bei Plattenfirmen beworben haben, wollte das keiner haben“: Die Texte seien zu satirisch. So prägten die beiden für ihren Stil den Begriff „Salon Hiphop“: Das trifft es zumindest zum Teil und lässt doch ein Restgeheimnis offen.

Bei aller Gegenwartsbezogenheit ist aber unverkennbar, wie tief „Pigor & Eichhorn“ aus der deutschsprachigen Kabaretttradition schöpfen. Freimütig zählt Thomas Pigor namhafte Vorbilder wie Karl Valentin, Georg Kreisler oder Gerhard Bronner auf, mit denen er seit seiner Kindheit in Unterfranken vertraut ist. „Mein Vater hatte in Wien studiert und von dort deren Platten mitgebracht“, erinnert er sich und holt eine achtteilige CD-Edition von Karl Valentin aus dem Regal, deren Booklet er begeistert aufblättert. „Deswegen ist mir die süddeutsche Kabarettschule auch vertrauter als die aus Berlin, als die Wühlmäuse oder Hanns Dieter Hüsch etwa.“ Und deswegen ist ihm selbst auch eine Sprachmelodie eigen, die er als „süddeutsches Bühnenhochdeutsch“ klassifiziert.

Die Herausforderung ist jedoch, „Themen zu finden, über die noch keiner gesungen hat“. Und, wie Pigor betont: „Es muss zu unseren Bühnenrollen“ passen. Denn Thomas Pigor gibt auf der Bühne den leicht sadistischen Conferencier, der sich im Rampenlicht sonnt und seinem untergebenen Mitarbeiter gerne das Wort abschneidet, wenn er ihn nicht gar demütigt. Benedikt Eichhorn spielt seinen schüchtern bis gehemmten Tastenknecht, der stets auf eine Gelegenheit wartet, aus dem Schatten seines Meisters zu treten. Und als wäre das an konfliktträchtiger Konstellation noch nicht genug, ist als Dritter im Bunde zuletzt auch noch „der Ulf“ dazugekommen, ein leicht autistischer Elektronik-Frickler, dessen Sample-Maschine so aussieht, als habe er sie im Hobbykeller zusammengelötet.

Seine Themen findet Thomas Pigor in den Absurditäten des Alltags, an der Supermarktkasse oder in der Verpackung von Audio- und Videokassetten. „Das kabarettistische Chanson ist doch die letzte Beschwerdeinstanz“, sinniert er. Dazu kommen Genre-Parodien wie die Chanson-Persiflage „Hauptbahnhof von Paris“ oder die Grunge-Veralberung „Pubertät“. Tagespolitische Themen besitzen zwar meist nur geringe Haltbarkeit. Doch Pigor gelingt es, aus den Plattitüden der Politiker-Rhetorik und des Sprechens über Politik Chansons zu schöpfen, denen eine gewisse Zeitlosigkeit eigen ist: über antiamerikanische Stereotype und verdruckste USA-Kritik etwa. Oder über den offenbar unbändigen Hang mancher Politiker, unglückliche historische Vergleiche mit der NS-Zeit zu ziehen. Bei der Lektüre von Heideggers „Sein und Zeit“ kam Thomas Pigor die Idee, die schwerfälligen Satzungetüme des Existenz-Philosophen mit einer eingängigen Reggae-Melodie zu versehen. Und wer hätte gedacht, dass sich „Dasein ist Seiendes, dass sich in seinem Sein verstehend zu diesem Sein verhält“ so gut rappen lässt?

Längst macht der Heidegger-Rap in philosophischen Zirkeln die Runde. „Es gibt sogar Fans in Amerika, die den Song auf ihren Fakultätsfeiern singen und uns dann ihre Aufnahmen schicken“, berichtet Pigor. Nur ihm konnte es wohl auch in den Sinn kommen, den Aussagesatz „Berlin ist pleite“ in einen maliziösen Party-Refrain umzudichten. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Song wieder aktuell geworden. So waren Pigor & Eichhorn am vergangenen Freitag denn auch bei einem Berliner Radiosender, um ihn aufs Neue im Studio einzusingen: „Berlin ist pleite / Und das ist auch gut so“. Es könnte das heimliche Hauptstadt-Motto werden: Arm, aber lustig.

Die Stücke von „Pigor und Eichhorn“ sind aber nicht nur lustig, sondern vor allem auch sehr gut gemacht und auf der musikalischen Landkarte irgendwo im weiten Feld zwischen den Ärzten und Max Raabe anzusiedeln. Erstaunlich daher, dass sie noch nicht das Fernsehen für sich erobert haben. Im öffentlich-rechtlichen Radio werden ihre Songs schon ab und zu mal eingesetzt.

Aber im Fernsehen gebe es einfach keinen Sendeplatz für das kabarettistische Lied – selbst in Kabarettsendungen nicht: „Wenn da Musik läuft, dann gehen alle aufs Klo.“ Mag sein, dass das kabarettistische Lied in Deutschland einfach zu gering geschätzt wird. Hierzulande firmiert es ja unter „Kleinkunst“. Und „Kleinkunst, das klingt wie Kleingärtner, Halbmarathon oder ‚Küssen ohne Zunge‘“, findet auch Pigor.

Vielleicht ist das der Grund, warum sich Pigor und Eichhorn in letzter Zeit verstärkt in Nachbarländern umschauen. In Österreich etwa gewannen sie im September den höchsten Kabarettpreis des Landes, als erste Deutsche. Das war ein echtes Politikum, zumal die am häufigsten gestellte Journalistenfrage lautete: „Es heißt, die Deutschen hätten keinen Humor. Wieso glaubt’s ihr, dass ihr trotzdem in Österreich Erfolg haben könnt?“ In Frankreich, wo sie in diesem Jahr mit einem komplett französischen Programm (!) erstmalig unterwegs waren, warben sie auf ihren Plakaten denn auch gleich offensiv mit dem Hinweis: „Oui, L’humour allemand existe – ja, es gibt deutschen Humor“.

Den deutschen Umgang mit dem Nationalsozialismus – und Hitler im Besonderen – sparen Pigor und Eichhorn in ihrem Programm nicht aus, im Gegenteil. Nun kommt ihnen das zugute. „Hitler ist im Moment ja sehr angesagt“, witzelt Thomas Pigor: Seit der Film „Der Untergang“ den Führer als dramatische Figur eingeführt habe, sei auch die Hitler-Veralberung im Mainstream salonfähig geworden.

Davon kündet nicht nur der Erfolg von Walter Moers’ Hitler-Clip. Im Januar kommt auch endlich Dany Levys lang angekündigte Hitler-Klamotte mit Helge Schneider in die deutschen Kinos.

Dass Hitler als Ulkfigur nicht länger tabu ist, ist sicher Teil seiner Historisierung, jetzt, wo die letzten Nazi-Täter aussterben. „Aber das ist keine Verharmlosung und kein Schlussstrich“, findet Thomas Pigor. „Es ist lediglich eine Variation des Themas.“ Denn warum sollte man Hitler allein den Guido Knopps, Bruno Ganz’ und Bernd Eichingers dieser Welt überlassen?

Natürlich gab es über den Hitler-Clip auch ein paar Beschwerden, von Ralph Giordano oder Lea Rosh etwa. Doch Thomas Pigor hat ein reines Gewissen und bereut nichts: „Wenn ich mir im Internet die Kommentare ansehe, dann bin ich sehr froh: Die Zustimmung kommt von der richtigen Seite, und die Rechtsradikalen ärgern sich.“