: Wir sind Gemeinschaftsschule
Schüler länger gemeinsam zu unterrichten sei sinnvoll, meinen nicht nur Hauptschulleiter. Gemeinschaftsschule dürfe aber nicht zum bloßen Deckmantel für neue Sparmaßnahmen werden. Bekenntnisse und Befürchtungen von vier SchulleiterInnen
Hannelore Weimar,
Leiterin der Werner-Stephan-Hauptschule in Tempelhof:
„Ich bin für die Gemeinschaftsschule und gegen die Dreigliedrigkeit, weil Hauptschüler darin stigmatisiert werden und mit ihrem Abschluss auch keinerlei Perspektive haben. Untersuchungen zeigen, dass durch die Differenzierung an Schulen die Schwächeren schwächer werden, weil sie sich nicht an Besseren orientieren können. Die Besseren werden aber nicht noch besser dadurch, dass man schlechte Schüler aussortiert.
Ich bin aber nicht für eine Gemeinschaftsschule zum Nulltarif. Viele Hauptschulen in Berlin haben sich in jahrelanger Arbeit gute Unterrichtsbedingungen erkämpft. Die darf man jetzt nicht vom Tisch wischen. Bestimmte Mindeststandards müssen garantiert sein. Gemeinschaftsschule darf nicht zum Decknamen für ein neues Sparpaket werden.
Schlechte Bedingungen, das wären zum Beispiel große Klassenfrequenzen, wie wir sie an Gymnasien oder Realschulen mit um die 30 Schülern pro Klasse haben. Die Möglichkeit, Schüler individuell zu fördern, muss gewährleistet sein. Auch Integration und Förderung von Migranten darf nicht zu kurz kommen. Gut wäre es, wenn die Erfahrungen von guten Schulen in die Entwicklung der Gemeinschaftsschule einbezögen würde. Es sollten also nicht nur bürokratische Überlegungen hinter Zusammenlegungen stecken, sondern vor allem pädagogische. Aber auch mit der Gemeinschaftsschule werden nicht alle Probleme lösbar sein. Die Gesellschaft müsste sich insgesamt mal überlegen, wie sie mit ihren Jugendlichen umgehen will.“
Wolfgang Lüdtke,
Schulleiter der Kepler-Hauptschule in Neukölln
„Wenn ein Bundesland es schaffen sollte, eine Gemeinschaftsschule mit vergleichsweise so guter Lehrerausstattung einzurichten, wie sie derzeit die Berliner Hauptschulen haben, dann wäre ich dabei.
Denn trotz aller Nachteile, die natürlich auch da sind, hat die Hauptschule immer noch mehr Fördermöglichkeiten für benachteiligte Schüler als die Gemeinschaftsschule nach allem, was man annehmen muss, haben würde. Dass bei den in Berlin herrschenden Verhältnissen der Lehrerschlüssel der Hauptschulen beibehalten werden könnte, ist aber kaum vorstellbar. Das wäre zu teuer.
Deswegen stehe ich der Gemeinschaftsschule eher ablehnend gegenüber. Denkbar wäre vielleicht eine vermehrte Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen. Wenn man dabei auf eine Klassengröße von vielleicht 24 SchülerInnen und Fördermöglichkeiten für die Benachteiligten käme, könnte man mit vollem Herzen dabei sein.“
Martin Kraschewski, Direktor des Robert-Blum-Gymnasiums in Schöneberg
„Wir haben an unserem Gymnasium einen Migrantenanteil von fast 30 Prozent, Tendenz steigend. In den siebten Klassen liegt er bereits bei zirka 60 Prozent. An den anderen Gymnasien im Bezirk ist er erheblich niedriger. Die Folge ist, dass viele bildungsorientierte Eltern – darunter selbstverständlich auch Migranten – wegbleiben.
Wir diskutieren deshalb zurzeit verschiedene Möglichkeiten, wie wir unsere Schule vernünftig am Leben erhalten können – das heißt: wie wir einen Migrantenanteil von zirka 25 Prozent erreichen, denn dann ist gutes Unterrichten möglich. Die erste Möglichkeit wäre, schon in der 5. Klasse mit Englisch oder Spanisch als Fremdsprache zu beginnen. Das wäre die Lösung, die den Wünschen der meisten Eltern entspricht. Deshalb bekäme man so mehr deutsche und bildungsorientierte Eltern an die Schule. Derzeit beginnt unsere Schule in der 7. Klasse mit Französisch oder Spanisch.
Die andere Möglichkeit, und das kommt dem, was die PDS Gemeinschaftsschule nennt, nahe, wäre, eine Grundschulklasse komplett an unserer Schule aufzunehmen und gemeinsam bis zum Abitur oder zum Mittleren Schulabschluss zu führen – ungeachtet dessen, wer in der Klasse eine Gymnasialempfehlung hat. Dafür brauchten wir eine besondere Ausstattung und mehr Mittel, etwa für Förderkurse für die Schwächeren. Auch müsste das an Gymnasien übliche Probehalbjahr abgeschafft werden. Gut wäre ein Schlüssel von 25 Kindern pro Klasse – jetzt haben wir um die 30. Dafür brauchten wir mehr Lehrer, und es wäre gut, auch einen Sozialarbeiter an der Schule zu haben, wie das an Gesamtschulen der Fall ist. Diese Klasse sollte einen besonderen Schwerpunkt – zum Beispiel einen musischen – haben.
Eine solche Schulform mag man dann nennen, wie man will. Ich lege aber Wert auf die Feststellung, dass die Idee von uns kommt. Angeregt dazu hat uns Vernor Muñoz, der UN-Bildungsbeauftragte, der Anfang dieses Jahres Berlin besuchte. Für welche Möglichkeit wir uns entscheiden werden, darüber wird die nächste Schulkonferenz abstimmen. Ich könnte mir vorstellen, das Modell Gemeinschaftsschule in einer Klasse zu testen.“
Jutta Steinkamp, Leiterin der Herbert-Hoover-Realschule in Wedding
„Wenn das notwendige Geld dafür zur Verfügung gestellt wird, dann ist die Gemeinschaftsschule eine gute Idee. Die Entscheidung, an dem Projekt teilzunehmen, sollte aber keine von oben aufgedrängte, sondern eine freiwillige Entscheidung sein, die von allen Beteiligten an der Schule getroffen wird – auch von den Schülern. Für uns kommt das aufgrund räumlicher Begrenzungen nicht in Frage. Hätten wir die räumlichen Möglichkeiten, dann würde ich aber nachfragen, ob Interesse da ist.
Denn ich denke, die Gemeinschaftsschule kann ein positives Modell sein, gerade für Gegenden, wo die Entwicklung von Jugendlichen sehr von der Schule abhängt, weil die Förderung durch die Elternhäuser nicht ausreichend gegeben ist.
Der Lehrerschlüssel müsste aber mindestens dem der Ganztagsschulen entsprechen, überhaupt sollten Gemeinschaftsschulen Ganztagsschulen sein. Es müsste überdies neben Lehrern flankierende Professionen wie beispielsweise Sozialpädagogen an den Schulen geben. Außerdem müssten sich die Schulen um Kooperationspartner bemühen, z. B. im Bereich Ausbildung.
Wenn aber die Ressourcen nicht stimmen, dann sollte man es lieber beim alten System belassen, auch wenn sich das nicht bewährt hat. Denn wenn ich es nicht richtig ausstatte, nützt mir das beste System nichts. Zu viele Gesamtschulen funktionieren bis heute nicht, da das dreigliedrige Schulsystem konkurrierend bestehen blieb. Andere Länder lassen sich Bildung längst etwas kosten. Wir müssten auch langsam mal wach werden.“