piwik no script img

Archiv-Artikel

BUNDESWEHR IM INNEREN? MIT DEM WEISSBUCH GEHT DER STREIT WEITER Al-Qaida in der Kieler Förde?

Über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble schon im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft eine Debatte entfacht. Mit dem gestern vorgelegten Weißbuch zur deutschen Sicherheitspolitik geht der politische Kampf nun in die nächste Runde. Wieder lautet das Stichwort: Abwehr terroristischer Angriffe. Beim neuerlichen Angriff auf Grundgesetz und Verfassung gibt jetzt sein Parteikollege, Verteidigungsminister Franz Josef Jung, den Ton an. Ungeachtet der Widerstände beim Koalitionspartner SPD will Jung seine Truppe immer dann auch zu Hause einsetzen, „wenn die Fähigkeiten der Polizei nicht mehr gewährleistet sind“.

Bislang war stets Schäuble die treibende Kraft. Dieses Mal sekundiert er lediglich und erklärt, wo die Polizei überfordert sein könnte: etwa bei einer Bedrohung von See. Hat der Minister vergessen, dass die GSG 9, die ihm unterstellt ist, schon seit 22 Jahren über ein eigenes Spezialkommando „See“ verfügt? Oder rechnen die beiden Christdemokraten eventuell mit dem Aufmarsch einer Al-Qaida-Flotte in der Kieler Förde?

Schäuble macht sich schon seit gut anderthalb Jahrzehnten für Militäreinsätze auch im Innern stark. Den früheren Verteidigungsminister und Parteifreund Rupert Scholz konnte er nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 für seine Idee gewinnen, und selbst sein Amtsvorgänger Otto Schily (SPD) erwärmte sich dafür. Doch schon heute ist die Bundeswehr aufgrund ihrer vielen Auslandseinsätze nicht mal mehr in der Lage, ihre eigenen Kasernen zu bewachen. Längst übernehmen private Sicherheitsdienste diese Aufgabe. Für Objektschutz oder gar für einen realen Antiterroreinsatz kämen somit nur jugendliche Wehrpflichtige in Frage. Auf welcher Seite es dann mehr Tote gäbe, mag man sich gar nicht vorstellen.

Bundeswehr und Polizei haben beide ihre klar umrissenen Aufgaben und eine entsprechende Ausbildung. Ausstattung, Auftrag und Selbstverständnis beider Institutionen könnten „unterschiedlicher nicht sein“, meint der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Zum Glück weiß er sich damit mit dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes einig. OTTO DIEDERICHS