: Lehrer kriegen Nachhilfe
SCHULE Nach Querelen um sexuelle Vielfalt wird der neue Bildungsplan erst 2016 in Baden-Württemberg eingeführt
AUS STUTTGART LENA MÜSSIGMANN
Der Bildungsplan für Baden-Württemberg bekommt eine weitere Frist von einem Jahr eingeräumt. Er werde erst 2016 statt 2015 an den Schulen eingeführt, erklärte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Donnerstag. Seit Wochen war über eine Verschiebung spekuliert worden. Die Zeit solle genutzt werden, um das Konzept zu vereinfachen und die Akzeptanz bei den Lehrern zu steigern, sagte Stoch.
Etwa alle zehn Jahre wird der Bildungsplan (früher Lehrplan) überarbeitet, zuletzt war das 2004 der Fall. Die heftige Debatte über „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als Teil des Bildungsplans spiele bei der Verschiebung keine Rolle, betonte Stoch. Seine Erklärung stattdessen: Viele Lehrer hätten sich beschwert, sie könnten schon die vorläufige Fassung des Bildungsplans nicht lesen. „Der Bildungsplan ist sprachlich zu wissenschaftlich“, laute beispielsweise die Rückmeldung einer Realschule. Eine Grundschule kritisiere: „Zu viele Querverweise erschweren die Lesbarkeit des Plans in der Papierversion.“
Die Kritik verwundert insofern, als 230 Lehrer in Fachkommissionen an dem Konzept mitgeschrieben haben und dies auch weiter tun werden. Nicht zuletzt würde man von studierten und pädagogisch ausgebildeten Lehrern erwarten, dass sie ein wissenschaftliches Konzept verstehen.
Aber das Kultusministerium gibt sich verständnisvoll und setzt nun auf Nachhilfe. Einzelne Lehrer sollen zu Fachberatern ausgebildet werden, um an ihrer Schule den Bildungsplan zu erklären. Nachhilfe kostet Zeit und Geld: nach Angaben des Ministeriums zusätzlich etwa 55 Lehrerstellen, das heißt 2,75 Millionen Euro. Dass die Fachkommissionen ein Jahr länger am Bildungsplan herumtüfteln, dass Lehrer für Kommissionstreffen freigestellt werden und anreisen, kostet laut Kultusminister zusätzlich 300.000 Euro. Die Bildungsplanreform kostet so insgesamt rund 15 Millionen Euro.
Das Kultusministerium kündigte außerdem an, dass Lehrer, die den Bildungsplan bereits an 59 Schulen im Land testen, mit ihrer Kritik künftig direkt von den Fachkommissionen gehört werden. Bei der Bildungsplanreform 2004 war der damaligen Kultusministerin Annette Schavan (CDU) vorgeworfen worden, die Rückmeldungen aus den Schulen nicht zu berücksichtigen. Doro Moritz, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, lobt deshalb, das Kultusministerium habe aus früheren Fehlern offenbar gelernt.
Georg Wacker, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, holzt gegen Stoch. Der habe „nun endlich erkannt, dass er mit der bisherigen Bildungsplanarbeit gegen die Wand gefahren ist“. Er fordert, dass gesellschaftliche Vielfalt gestrichen wird. Der FDP-Generalsekretär Patrick Meinhardt will zurück auf Start und „nochmals vollkommen neu diskutieren“. Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, begrüßt die Verschiebung. „Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“
Wie sexuelle Vielfalt als Unterrichtsthema bei Lehrern und Schülern in der Praxis ankommt, kann noch gar nicht gesagt werden. Seit September arbeiten 59 Schulen zu Testzwecken mit einer vorläufigen Version des neuen Bildungsplans. Das Arbeitspapier zur sexuellen Vielfalt stammt jedoch erst von November 2013. Wenn die Leitperspektive Vielfalt in die Erprobung geht, hofft Kultusminister Stoch auf Ruhe. Er erwarte, sagte er, dass Lehrer sachlich mit dem Thema umgehen.