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Archiv-Artikel

Das Dreckige Dutzend in der Nordsee

Unzählige Seevögel und Meeressäuger sterben jedes Jahr vor deutschen Küsten durch Plastikmüll und anderen Unrat. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert kostenlose Abfallentsorgung in Häfen und schärfere Kontrollen von Schiffen

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Der Bilder gibt es reichlich. Die Möwe, deren Schnabel sich im Verschluss einer Bierdose verfangen hat, den jungen Basstölpel, der stranguliert in einem Stückchen Netz, das die Eltern beim Nestbau verwendeten, an der Felsenküste Helgolands hängt, der aus Plastikresten und Zahnpastatubenverschlüssen bestehende Mageninhalt eines verendeten Eissturmvogels, der im Fischernetz ertrunkene Schweinswal – die Liste der Opfer der Mülllawine in der Nordsee, die Greenpeace dokumentiert hat, ließe sich endlos fortsetzen. Das seien allesamt Zeichen „für den respektlosen Umgang des Menschen mit dem Lebensraum Ozean“, sagt Stefanie Werner, Meeresbiologin bei der Umweltschutzorganisation.

Etwa eine Million Seevögel und rund 100.000 Schildkröten und Meeressäugetiere würden Jahr für Jahr von dem Abfall getötet, der im Meerwasser schwimmt (siehe Kasten). Das haben internationale Untersuchungen nachgewiesen. Etwa 20.000 Tonnen Müll gelangen jährlich allein in die Nordsee. Rund sieben Kilo Abfall werden täglich in einem Referenzgebiet eingesammelt, das die Naturschützer auf der westfriesischen Insel Texel eingerichtet haben. „Selbst Kühlschränke und Fernseher werden angeschwemmt“, berichtet Werner.

Die Hauptverursacher sind Schiffe, Direkteinleitungen von Industrieanlagen an Land sowie die Müllfrachten, die die Flüsse ins Meer transportieren. Das führe zu enormen ökologischen Schäden vor norddeutschen Küsten, die Greenpeace mit etwa 100 Millionen Euro pro Jahr angibt. Hinzu kämen wirtschaftliche Probleme. So würden Fischer an der Nordsee wöchentlich zwei Stunden damit zubringen, ihre Netze von Unrat zu säubern.

Deshalb müsste die bestehende Meeresschutzrichtlinie der Europäischen Union verschärft und deren Einhaltung schärfer überwacht werden, fordern Werner und der Schifffahrtsexperte von Greenpeace, Christian Bussau. Dazu gehörten strengere Kontrollen von Schiffen in den Häfen und auf hoher See sowie die Möglichkeit, Öl und sonstigen Abfall „in den Häfen kostenlos zu entsorgen“. Es müssten von staatlicher Seite „Anreize geschaffen werden“, sagt Bussau, damit der Dreck nicht weiterhin vor den Küsten über Bord gekippt werde.

Die Beseitigung von einem Kubikmeter Abfall koste Schiffseigner zurzeit im Hamburger Hafen etwa 120 Euro, in den bremischen Häfen zwischen 90 und 150 Euro, hat Greenpeace recherchiert. Da sei „die Versuchung für Kapitäne und Freizeitskipper weiterhin groß, ihren Müll illegal auf See loszuwerden“, sagt Bussau.

Hamburgs Umweltbehörde bestätigte diese Preise auf Nachfrage der taz. Jedoch müssten alle Schiffe, die hier einliefen, eine Grundpauschale von 105 Euro bezahlen, sagt Sprecherin Kerstin Feddersen, „egal, ob sie Müll entsorgen oder nicht“. Einzeln abgerechnet würde erst bei zusätzlichen Mengen. Damit sei Hamburg „sehr konsequent“ in der Anwendung einer seit Juli 2003 bestehenden EU-Richtlinie. Von rund 8.000 einlaufenden Schiffen im Jahr 2005 hätten hier, listet Feddersen auf, ungefähr 3.000 Öl ordnungsgemäß entsorgt und ebenfalls etwa 3.000 weitere üblichen Haus- und Restmüll. Damit stünde Hamburg im Vergleich der europäischen Hafenstädte „sehr gut da“.

Das Müllproblem an den Küsten bestätigt auch Hendrik Brunckhorst vom Nationalparkamt für das schleswig-holsteinische Wattenmeer in Tönning. Jeder erdenkliche Unrat werden „in großen Mengen“ zweimal täglich vom Hochwasser an die Strände gespült. Detaillierte Angaben lägen zurzeit aber nicht vor. Auch die Schutzstation Wattenmeer hat bei „stichprobenartigen Kontrollgängen“ auf den Außensänden vor der Küste „streckenweise Sondermüll“ entdeckt. Sie fordert unter anderem eine „Entsorgungsbeteiligung der EU“. Denn die oft hauptsächlich vom Tourismus lebenden Gemeinden und Kreise vor allem in der südlichen Nordsee müssten regelmäßig tausende von Tonnen Müll aus den Anrainerstaaten und „dem Rest der zur See fahrenden Welt“ auf eigene Kosten beseitigen.

Mit dem Müll, der die Nordsee überschwemmt, gelangen zudem hochgiftige chemische Verbindungen ins Wasser. Vor der „Altlast“ der Polychlorierten Biphenyle (PCB) warnte gestern erneut das Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung in Bremerhaven. Sie gehören, so die Umwelttoxikologin Angela Köhler, zu dem so genannten „Dreckigen Dutzend“ jener zwölf extrem giftigen Chemikalien, für die seit 2001 ein internationales Produktionsverbot besteht. Die Krebs erregenden und Unfruchtbarkeit bei Menschen, Meeressäugern und Fischen hervorrufenden Stoffe wurden als Flammen- und Brandschutzmittel eingesetzt.

Sie verseuchen weiterhin Meere und Strände – als Ausdünstungen aus Computern, Kühlschränken oder Fernsehapparaten.