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Archiv-Artikel

Berliner Platten Liebe, Frieden, Melancholie: Maximilian Hecker und Ben Kaan verbessern die Welt

Maximilian Hecker: „I’ll Be A Virgin, I’ll Be A Mountain“ (V2)

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren nicht zu wenige Menschen – und einige saßen in der Redaktion dieser Zeitung – der Meinung, dass es die Welt ein gutes Stück voran bringen würde auf dem Weg zu Liebe, Frieden und Verständigung, wenn Maximilian Hecker die Spitze der Charts erklimmen würde. Doch als sich das Erscheinen von „I’ll Be A Virgin, I’ll Be A Mountain“ ankündigte, setzte ein großes Ach-der-schon-wieder ein, und auch in dieser Zeitung wollte sich niemand so recht finden, der voller Überzeugung diese Platte würdigen würde. Was schade ist, denn das vierte Album des mittlerweile auch schon 29-jährigen Wunderkinds will doch tatsächlich Neues. Hecker versucht endlich auszubrechen aus den bislang von ihm so sorgsam gepflegten Stereotypen, mit denen er allerdings sogar einen gewissen internationalen Erfolg verbuchen konnte, und ist entschieden aufgeräumter und lebensbejahender als zuvor. Überschäumend fröhlich ist das immer noch nicht, aber lange nicht mehr so trübsinnig wie früher. Manchmal zieht das Tempo sogar an, erhebt sich aus dem altbekannten Klagelied ein recht flotter Rhythmus. Mancher Song aber droht doch noch andächtig zu verharren, während sich Heckers Stimme engelsgleich in höhere Bewusstseinszustände zu schrauben versucht, ins Reich von M&M, von Moll und Melancholie. Diese Rolle, die des ätherischen Herzensbrechers, gibt Hecker trotz aller Neuerungen dann doch noch am überzeugendsten. Vielleicht wird Heckers Plätzchen im Berliner Popstarspektrum demnächst ja von Ben Kaan übernommen. Der ist nicht nur ebenfalls Singer/Songwriter, nicht nur sieben Jahre jünger, sondern hat auch den unbestreitbaren Vorteil, dass ihn hier noch kaum jemand kennt, weil er erst vor wenigen Monaten in die Hauptstadt gezogen ist. Der Grund dafür, gesteht der in Augsburg aufgewachsene Kaan, war „wie Element of Crime von dieser Stadt singen“. Ähnlich melancholisch wie Vorbild Sven Regener klingt Kaan nun auf seinem Debüt „Zuhause Wohnen – The Extrovert Album“, allerdings lange noch nicht so hintergründig und verschroben. Ein wenig seltsam allerdings mutet der gebürtige Stuttgarter dann doch an: Seine Reime neigen bisweilen zu schiefen Metaphern („In den hungrigen Jahren sind so viele Züge durch meinen Kopf gefahren/ Ein Bahnhof an Gedankengut war ich“), zu ungelenkem Pathos („Ich trinke Einsamkeit aus Rotweingläsern, die so groß sind wie ein kleines Fass“) und zu einer gewissen Redundanz („Sommermonatsregenschauer“), entwickeln aber wohl gerade deshalb einen ziemlichen Charme. Kaan klingt stets wie ein englischer Muttersprachler, der zwar sehr gut Deutsch gelernt hat, aber eben noch nicht alle Feinheiten zu meistern in der Lage ist. Doch der schönste Moment des Albums ist ausgerechnet der Versuch, einen Franzosen nachzustellen: „Biscuits De La Fortune“ heißt nicht nur so, sondern hört sich auch an wie ein Nouvelle Chanson. So wie hier drei verschiedene Sprachen im Kitsch zusammenfinden, sind Liebe, Frieden und Verständigung womöglich doch nicht mehr weit entfernt. THOMAS WINKLER

Ben Kaan: „Zuhause Wohnen – The Extrovert Album (Lamm/ Universal)