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Archiv-Artikel

Erst feiern, dann zur Demo

1. MAI Die nächste Woche steht im Zeichen des Tags der Arbeit: Auftakt ist die Walpurgisnacht, Schluss nach der 18-Uhr-Demo. Ein Überblick

Der 1. Mai in Berlin

■ Am Tag der Arbeit bricht in Berlin seit 1987 Gewalt aus. Damals lieferten sich 900 Menschen zwölf Stunden lang Straßenschlachten mit der Polizei in Kreuzberg. Geschäfte werden geplündert, Autos angezündet, ein Bolle-Supermarkt geht in Flammen auf. Seitdem reagiert die Polizei mit verschiedenen Strategien: Zurückhaltung, Prävention, Verboten. Seit einigen Jahren gilt die sogenannte Deeskalationsstrategie: Die Beamten halten sich zurück, solange es friedlich bleibt, schicken anderenfalls aber sofort Einheiten für Festnahmen los. (taz)

VON ANTJE LANG-LENDORFF UND MARINA MAI

In der Walpurgisnacht und am 1. Mai zieht es Berliner und ihre Besucher traditionell auf die Straße. Auch dieses Jahr sind zahlreiche Feste, Demos und Kundgebungen geplant: in der Walpurgisnacht am Abend des 30. April in Wedding und im Mauerpark, am 1. Mai über die ganze Stadt verteilt. Gewerkschafter versammeln sich in Mitte, viele Kreuzberger feiern rund um die Oranienstraße. Ob aus dem geplanten NPD-Aufzug in Neukölln etwas wird, ist unklar. Die Rechtsextremen laufen bereits am heutigen Samstag durch Kreuzberg (Bericht letzte Seite). Ein Überblick.

Die antikapitalistische Walpurgisnacht ist für dieses Jahr in Wedding geplant. Ab 19 Uhr wollen Antifas dort die Themen Rassismus und soziale Verdrängung thematisieren. Los geht’s an der Seestraße Ecke Müllerstraße. Nach Zwischenkundgebungen soll der Zug am U-Bahnhof Pankstraße enden. Die Veranstalter haben 500 Teilnehmer angemeldet. Es könnten aber durchaus mehr werden. Im vergangenen Jahr seien ebenfalls 500 Teilnehmer angemeldet worden, sagte am Freitag Michael Krömer, Einsatzleiter der Polizei. Rund 3.000 kamen dann tatsächlich.

Auch im Mauerpark wird wieder gefeiert. Welche Osterfeuer brennen dürfen und welche nicht, werde man im Einzelfall gemeinsam mit der Feuerwehr entscheiden, sagte Krömer. Die Polizei will bei der Walpurgisnacht mit weniger Personal präsent sein. „Wir werden dem Trend zu einer friedlichen Walpurgisnacht Rechnung tragen“, sagte Innensenator Frank Henkel (CDU). Insgesamt werden in der Walpurgisnacht und am 1. Mai 7.000 Beamte im Einsatz sein, davon kommen 2.500 aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei.

Ob die NPD am 1. Mai zum zweiten Mal innerhalb einer Woche durch Berlin marschieren wird, ist derzeit unklar. Der Polizei liegt eine Anmeldung für einen Aufzug durch den Süden Neuköllns vor. Unter dem Motto „Unser Volk zuerst – Ausländerstopp jetzt“ hat die NPD 100 Teilnehmer angemeldet. Selbst erklärtes Ziel der Nazis ist es, vor dem Asylbewerberheim im Neuköllner Ortsteil Britz aufzumarschieren.

Das hat die Polizei untersagt. Die von den Behörden genehmigte Demo startet um 8 Uhr am U-Bahnhof Neukölln, die Route führt über die Silbersteinstraße, die Hermannstraße, die Franz-Körner-Straße und die Buschkrugallee zur U-Bahn-Station Blaschkoallee.

Allerdings ist die NPD nicht zum Kooperationsgespräch mit der Polizei erschienen. Zudem mobilisiert die Partei auch bundesweit zu Demonstrationen, unter anderem in Rostock. Es ist also durchaus möglich, dass die NPDler gar nicht in Neukölln auftauchen.

Gleichwohl bereiten sich sowohl die antirassistische Szene als auch die Polizei auf eine NPD-Demonstration vor. Grüne, Linke, Jusos und Ver.di haben Gegenveranstaltungen angemeldet, sie mobilisieren hauptsächlich zu den S-Bahn-Stationen Neukölln und Hermannstraße. Auch rund um den S-Bahnhof Schöneweide sind Proteste angemeldet, falls die NPD kurzfristig dorthin ausweichen sollte.

Der 1. Mai ist auch der Tag der Gewerkschaften. Unter dem Motto „Gute Arbeit – soziales Europa“ will der DGB mit 10.000 Anhängern ab 10 Uhr vom Hackeschen Markt zum Brandenburger Tor ziehen, flankiert von einem Korso aus Motorrad-, Fahrradfahrern und Skatern. Am Brandenburger Tor laden die Gewerkschafter anschließend zu Livemusik, Bratwürsten, Gesprächen und einem Kinderfest.

In Kreuzberg wird ab 11.30 Uhr mit zahlreichen Bühnen sowie Essen- und Politständen wieder das Myfest gefeiert. Seit 2003 veranstaltet der Bezirk das Fest – auch um Ausschreitungen entgegenzuwirken. Die Behörden rechnen wieder mit etwa 40.000 Menschen rund um das Kottbusser Tor, den Heinrichplatz und die Oranienstraße.

Für die traditionelle 18-Uhr-Demo sind 15.000 Teilnehmer angemeldet. Gemessen an den Zahlen der letzten Jahre, ist das recht hoch geschätzt

In den vergangenen Jahren formierte sich aus dem Myfest heraus eine nicht angemeldete Demo durch den Kiez. Auch in diesem Jahr wird unter dem Titel „Schnauze voll! Demonstration für ein gutes Leben mit Zugang zu Wohnraum, Bildung, Gesundheit und Kultur für alle“ für 17 Uhr zum Mariannenplatz mobilisiert.

Dieser Aufzug geht üblicherweise in die traditionelle 18 Uhr-Demo über. Unter dem Motto „Gegen Krise, Krieg und Kapital – Widerstand, Aufstand, Revolution“ wollen Antifas ab 18 Uhr vom Lausitzer Platz über den Herrmannplatz zur SPD-Bundeszentrale an der Wilhelmstraße ziehen. 15.000 Teilnehmer sind angemeldet – gemessen an den Zahlen der letzten Jahre, ist das recht hoch geschätzt. Anders als früher habe man sich in diesem Jahr mit dem Veranstalter schnell auf eine Route einigen können, freute sich Polizeipräsident Klaus Kandt. „Wir mussten keine Auflagen für einen Streckenverlauf erteilen.“

Innensenator Henkel betonte am Freitag, er rechne mit einem friedlichen 1. Mai. „Die positiven Entwicklungen von 2012 und 2013 lassen mich hoffen, dass es uns irgendwann gelingt, dass Gewaltritual zu durchbrechen.“ Eine Garantie gebe es dafür natürlich nicht. Die Polizei werde an der bewährten Doppelstrategie – auch Deeskalationsstrategie genannt – festhalten. Das heißt: Die Beamten halten sich zurück, solange es friedlich bleibt. Bei ersten größeren Gewaltaktionen wollen die Beamten aber sofort Einheiten für Festnahmen losschicken.

Mit rund 50 Personen, die die Polizei für potenziell gewaltbereit hält, habe man im Vorfeld bereits geredet, so ein Sprecher. Erstmals wird die Polizei während der Veranstaltung auch in sozialen Netzwerken mitmischen. Kandt kündigte an: „Mit dem Einsatz von Twitter werden wir Gerüchten und Mythen vorbeugen und unsere Sicht auf den Einsatzverlauf darstellen.“