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Archiv-Artikel

Wie brodelnde Lava aus einem Vulkan

Anlässlich seines 125. Geburtstags ehrt die Wahrheit Theodor F. Gnubi, den größten Blasenstecher aller Zeiten

In einem sind sich jene, die ihn geliebt haben, und jene, die ihn gehasst haben, einig: Er war der größte Blasenstecher des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von Theodor F. Gnubi, der vor genau 125 Jahren, am 27. Oktober 1881, im westfälischen Städtchen Senden das Licht der Welt erblickte.

Doch beinahe hätte die Welt der Blasenstecherei das Genie Gnubi nie erlebt. Gnubis Mutter wurde schon als achtjähriges Mädchen – also lange vor Gnubis Geburt – von usbekischen Zigeunern entführt und an einen russischen Tanzbärenhändler verschachert, bei dem sich das Kind fortan als Bärenohrwäscherin verdingen musste. Diese bittere Erfahrung spiegelte sich zwölf Jahre später auch in der Erziehung des kleinen Theodor wider, der schon früh eine große Leidenschaft zur Blasenstecherei entwickelte, die jedoch von den Eltern mit aller Striktheit unterdrückt wurde. Der junge Theodor sollte nach deren Wünschen später einmal das Handwerk des Küsters erlernen und wurde zu diesem Zwecke mit elf Jahren auf eine Küsterkadettenakademie in den Baumbergen gegeben.

Doch das strenge Reglement und die anstrengenden körperlichen Ertüchtigungen in dieser Anstalt standen in krassem Gegensatz zu Gnubis eigentlicher Berufung, und so wurde aus ihm ein stets kränkelnder und unglücklicher Junge, der unter seinen Mitkadetten keinerlei Anschluss fand und als kauziger Eigenbrötler galt. Die große Wende kam erst, als ein nicht minder eigenbrötlerischer Kamerad, mit dem Gnubi, wenn nicht Freundschaft, so doch ein gewisses Einvernehmen verband, eines abends im Schlafsaal seine nach einer Wanderung durch die Hügellandschaft der Baumberge wunden Füße rieb.

Gnubi beschrieb den alles verändernden Augenblick später in seiner Autobiografie wie folgt: „Als ich diese wunden, blasenübersäten Füße sah, da ist in mir ein Tor aufgesprungen und all meine unterdrückte Begabung quoll aus diesem Tor hervor wie brodelnde, blubbernde, blasenwerfende Lava aus einem explodierenden Vulkan.“

Fortan zerstach Gnubi jedwede Blasen an allen Füßen seiner Mitschüler auf so elegante und erstaunliche Art und Weise, dass er sich bald großer Beliebtheit erfreute. Einer seiner Lehrer – Rüdiger Hofacker, selbst ein begeisterter Blasenstecher, wenn auch nur mäßig begabt – wurde auf dieses außergewöhnliche Talent aufmerksam und förderte es. Er zeigte dem jungen, angehenden Künstler Gnubi, dass es auch andere Blasen gab, die trefflichst zerstochen werden konnten: Asphaltblasen zerstechen wurde zu Gnubis Königsdisziplin, und schon bald konnte Hofacker ihm nichts mehr beibringen. In einem symbolischen Akt übermachte er Gnubi seine silberne Stechnadel. Von da an, so heißt es, habe Hofacker nie wieder Blasen gestochen.

Für Gnubi begann ein unaufhaltsamer Siegeszug. Wo er auch hinreiste, er wurde umjubelt – in Dortmund, Pforzheim, Eisenhüttenstadt … Seine nächste Etappe war Kaiserslautern, wo er bereits mit 16 Jahren an die Akademie der Schönen Nadeln aufgenommen wurde, es folgten Hannover und – vom Jahr 1904 an – Castrop-Rauxel.

Frauen spielten in Gnubis Leben und Wirken stets eine große Rolle. Er war einmal verheiratet: Mit der Dortmunder Künstlerin Rita Wedel (1918–1955), die zu Weltruhm durch ihre Performance „Damenbartrasur mit Taschenmesser“ gelangte. Daneben hatte Gnubi bis zu seinem Tode 1961 zahlreiche Geliebte, die ihn mal als „liebenswerten Brummbär“, mal als „herzloses, eiskaltes Monster“ beschrieben.

Bis zu seinem Lebensende experimentierte Theodor F. Gnubi mit immer neuen Techniken und stieg dafür in Abgründe hinab, die tief in den Keller führten. Wir ehren heute einen großen Mann, der die Blasenstecherei bereichert hat wie kein zweiter.

CORINNA STEGEMANN