: Der Diktator isst auf – immer
Der Job des Diktators ist für den deutschen Jungmann doch noch reizvoll. Zart beflaumte Langhaarige dozieren beim Grillen ihrer Hähnchenflügel in Berliner Parks, Russland müsse sich verteidigen dürfen. Man selbst würde in Sachen Ukraine auch nicht anders handeln. Nicht gern natürlich, aber – Hähnchenflügel wenden – wenn es diese Leute in Kiew unbedingt so haben wollten, hätte man eben keine Wahl. Such den Putin in dir.
Die Berufsberater sollten näher auf solche Wünsche eingehen. Despoten auf Weltniveau sind eine etwas in Verruf geratene Ressource in diesem Land, aber Exportnation ist Exportnation, da dürfen wir nicht wählerisch sein. Ob in Zentralasien oder in Afrika, immer wieder fallen Tyrannen einfach so aus. Wenn Deutschland nicht für Nachschub sorgt, dann tun es andere. Aber Obacht! Das Berufsbild hat sich stark verändert seit den Tagen, als wir noch Marktführer auf dem Führermarkt waren. Der Neue Diktator muss zeigen, dass Sanftheit in ihm wohnt. Er marschiert nicht sofort ein, sondern sucht die Verhandlungen, und wenn er droht, dann am liebsten mit dem UN-Sicherheitsrat. Das ist fast schon metrosexuell.
Und, wichtig, er ist ein Getriebener. Er handelt, weil ihm keine Wahl bleibt. Höhere Mächte zwingen ihn, Dinge zu tun, die er so nicht gewollt hat. Die Schreie von Mütterchen Russland zum Beispiel oder die Amerikaner. Fünf Tote im Osten der Ukraine in dieser Woche, der Satan in Washington schläft nicht. Da kann man nichts machen.
Doch eigentlich ist der Neue Diktator ein Künstler, der den Bezug zum einfach Leben sucht, zur Natur. Leise brummend tanzt er mit dem Bären, nackt fliegt er mit den Kranichen, und seine dabei entstehenden Selbstporträts verorten den Mann wieder im paradiesischen Urzustand – ohne das laute Getöse der Städte, das nervenzerfetzende Gefiepe der Handys und vor allem: ohne Frauen.
Ein solcher Mann gewährt verwandten Seelen eine Heimat, der große Gérard Depardieu fand nicht zufällig am Busen des Russischen Reichs Zuflucht. Vielleicht wäre das auch eine Möglichkeit für den Traditionssänger Heino, den ein junger Kollegen namens Jan Delay vor ein paar Tagen einen Nazi schalt. Heino zeigte sich darob schwer getroffen. Zu Recht, denn welch ein Mensch würde seine Landserlieder und seinen auch schon lange zurückliegenden Auftritt im Apartheidstaat Südafrika nicht als Aufruf zu Dialog und Verständigung mit Gruppen am Rande der Gesellschaft deuten, sondern als Ausdruck einer rechtsradikalen Gesinnung? Heino ist ein Unverstandener. Und der Neue Diktator ist es auch.
Wären da nicht die Aufrechten von der Friedensbewegung 2014, die sich am Montag dieser Woche wieder zusammenfanden, wer verstünde dann, dass die wahre Gefahr nicht von Moskau ausgeht? Sondern von Barack Obama und dessen Kettenhunden in Brüssel. Aber auch diesen Getreuen droht Häme und Schmach, dabei arbeiten doch hier Linke und Rechte so traut miteinander wie seit 1932 nicht mehr, als NSDAP und KPD die Straßenbahnarbeiter von Berlin gemeinsam in den Streik führten. Walter Ulbricht neben Joseph Goebbels auf der Rednertribüne – beide herausragende Exemplare deutscher Führungskultur. Aber eben auch längst überholte Modelle.
Wer sich als ein Anführer modernen Typs versteht, muss lernen, Verantwortung den Geringeren zu überlassen, er muss lernen zu delegieren. Ein militärisches Manöver an der Grenze zu einem ungezogenen Nachbarland kann ohne Weiteres der Verteidigungsminister mit der „Kriegsmaschine“ rechtfertigen, die in ebendiesem Land gegen eine „friedliche Bevölkerung“ in Gang gesetzt worden sei. Zudem fällt es dann nicht auf den Chef zurück, wenn jemand merkt, dass der Feind gar keine 11.000 einsatzfähigen Soldaten hat, sondern nur halb so viele. Doch bei all dem Zarten und Schönen, das den Seelenboden des Neuen Diktators begrünt, darf sein Wesen im Ernstfall nicht den Eindruck des Beliebigen erwecken.
Seine Worte sind also klar wie Quellwasser, er benennt die Vergehen des Feindes als „ganz klares Verbrechen“, und wenn ihm dieser keine Wahl mehr lässt, dann deutet er innerlich gelassen, aber in der Stimme fest an, dass er auch zu einem Waffengang bereit ist.
Denn eines ist der Neue Diktator ganz sicher nicht: ein demokratischer Waschlappen. Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hat in dieser Woche Japan besucht. Und deutsche Medien berichten, dass japanische Medien berichten, der angeblich mächtigste Mann der Welt habe im besten Sushiladen der Welt nicht aufgegessen. So etwas tut kein Despot, auch kein zeitgemäßer, und schon gar nicht bei ein bisschen Fisch. Er isst auf. Immer.
DANIEL SCHULZ