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Archiv-Artikel

Sie kann gut reden

FILMSCHAFFEND Ein Porträt der Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Lüschow

Das solide Handwerk und die Arbeit an Genres waren Lüschow immer schon wichtig

VON RENÉ HAMANN

Was zählt, ist die Geschichte. „Man muss das Risiko des Erzählens eingehen, den Mut aufbringen, etwas Unbekanntes zu entdecken. Und ein gutes Drehbuch ist eine Idee, die ihre ideale Form gefunden hat“, sagt Petra Lüschow, und sie muss es wissen. Sie hat schließlich schon Erzählungen veröffentlicht, 2000 bei Galrev, hat Literaturwissenschaft und noch so einiges andere studiert, schließlich Dramaturgie an der HFF in Potsdam, und hat anschließend auch tatsächlich fleißig Drehbücher geschrieben, von Folgen für „Der Bulle von Tölz“, „Tatort“ bis zur Verfilmung von „Tannöd“ und dem Film „Nachbeben“, hat dann sogar angefangen, übers Drehbuchschreiben zu dozieren, nämlich an der dffb, und dann an der ifs in Köln, und wagt jetzt mit ihrem ersten Kurzfilm den Schritt ins Regiefach.

Dass Petra Lüschow gut reden, gut erzählen kann, wird ziemlich schnell klar. Obwohl man ihr gewissermaßen ansieht, wie sie beim Reden denkt und beim Denken redet, kann sie reden wie gedruckt, und es ist nicht nur ein Monolog, den sie anstrebt, sondern der Wunsch, sich zu erklären und verstanden zu wissen, um gleich den Gesprächspartner weiter ins Gespräch zu ziehen. Die Studierenden an der dffb haben bestimmt eine Menge Spaß mit ihr.

Dass sie naturgemäß ein Leben zwischen Einsamkeit, Rückzug und dem Sprung ins Soziale führt, scheint ihr nichts auszumachen, im Gegenteil: „Ich bin wahnsinnig gern allein und schreibe auch gern allein, aber ich arbeite auch gern mit Leuten zusammen“, sagt sie. Sechs Stunden Schreibtisch und dann extrovertiert raus in die Welt. Es scheint keine Langeweile aufzukommen: „Die Fiktion ist auch mein Leben. Und ich führe ein lustiges und aufregendes Leben.“

Aber natürlich kennt sie auch die Schattenseiten des Systems. Des Systems Film und besonders des Systems Fernsehen. Die Seiten nämlich, wenn Drehbücher umgearbeitet und umgearbeitet werden, weil RedakteurInnen der Mut zum Risiko fehlt, oder die Seiten, wo die Regie ihren eigenen Reim aufs Drehbuch macht, oberflächlich bleibt und den Subtext nicht herausarbeitet und somit am Ende etwas ganz anderes dabei herauskommt. Das ist ärgerlich, das nagt, das ist öfter so. Aber das ist vielleicht auch das Soziale an dieser Arbeit, im Gegensatz zum Autismus des Schreibens. „Drehbuchautoren gibt es singulär hauptsächlich bei Genrefilmen oder im Fernsehen. Regisseure können oft nicht schreiben. Das führt eben oft zu der schwierigen Situation, dass der oder die DrehbuchautorIn einen großen künstlerischen Anteil hat, aber nur eine passive Rolle zugeordnet bekommt.“

Am Dienstag hat das Interfilm-Festival begonnen, dort ist Lüschows erste eigene Regiearbeit, der lustige Kurzfilm „Der kleine Nazi“, zu sehen. Er steht in bester Tradition von Loriot und Heinrich Böll („Nicht nur zur Weihnachtszeit“, verfilmt von Vojtech Jasny, 1970). Humorig bearbeitet er dieses schon sehr deutsche Thema: Weihnachten. Familie. Geschichte. Religion. Und das andere. Wobei „humorig“ das falsche Wort ist – man sieht dem 14 Minuten langen Film in jeder Szene an, wie gut gebaut und geführt er ist. Humor ist das, was am Ende herauskommt, wenn man ein starkes Buch hat und was von Schauspielerführung versteht. In dem Film jedenfalls geht es um eine altersdemente Dame, die einen Karton mit Hakenkreuzchristbaumkugeln findet und diese kurzerhand an den Tannenbaum hängt, während ihre Enkelin ihren jüdischen Freund mit zur Familienfeier bringen möchte.

Ein sehr deutsches Thema, und die Reaktionen auf den Film fallen sehr unterschiedlich und, wie Lüschow selbst sagt, sehr lustig aus. „Es geht um den Umgang der Nachfolgegenerationen mit dem Thema“, sagt sie. „Die Geschichte hat einen ernsten Hintergrund. Die Leute haben auf den Film mit Erleichterung und Öffnung reagiert, und viele haben angefangen, eigene Geschichten zu dem Thema zu erzählen. Über Scham und Schuld.“

Aber für Petra Lüschow soll „Der kleine Nazi“ nur ein Anfang sein. Ein weiterer Anfang. Geplant ist jetzt ein Langfilm unter ihrer Regie, hierfür hat sie auch bereits zwei Stoffe konzipiert, kann sich aber noch nicht richtig für einen der Stoffe entscheiden. Aber sie geht von ihrem Credo aus, der Geschichte, der Idee und mittlerweile auch von der Erfahrung. Petra Lüschow, knapp Mitte 40 inzwischen, hat natürlich andererseits gut reden, denn obwohl ihre Gagen systembedingt immer noch schwanken, ist sie im Dschungel der Selbstständigen bereits eine Etablierte (mit einer Agentur im Rücken). Dass Erfolg, wenn auch bescheidener, gute Laune macht, ist ihr durchaus anzusehen und anzumerken. Klar, warum auch nicht!

Lüschows Plan ist schon immer das Schreiben gewesen, und sie hat sich nicht wie andere entmutigen lassen oder ist dem Blendwerk der Kunst erlegen. Nein, Fleiß, Ehrgeiz, das solide Handwerk und die Arbeit an Genres – das war ihr immer schon wichtig. Sie kann nämlich beides: Kunst und Serie schreiben. Der Weg dahin? Viel schreiben. „Trial and error.“

Vielleicht wartet am Ende nicht nur weiterer Erfolg, sondern auch so etwas wie eine Ausnahmestellung. Stichwort Komödie: Loriot ist im Ruhestand, und eher triviale Gestalten wie Til Schweiger können nicht das letzte Wort in Sachen „Deutsche Komödie“ sein. Da sei eine Frau vor. Vielleicht ja sie.

■ „Der kleine Nazi“ läuft im Programmblock „Schwarze Schafe“ im Deutschen Wettbewerb. Termine unter www.interfilm.de