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Archiv-Artikel

Friede, Freude, Fladenbrot

Mit einem Empfang feiert Bürgerschaftspräsident Christian Weber „83 Jahre Gründung der Republik Türkei“. In Bremens Partnerstadt Izmir feiern Oppositionelle nicht – sie sitzen im Gefängnis

„Solche Veranstaltungen neutralisieren Kritik an der Türkei“

Von Christian Jakob

Der „Vater aller Türken“, Staatsgründer Kemal Atatürk, hätte am Donnerstagabend in der Bremer Bürgerschaft große Freude gehabt. Denn der jährliche Empfang von Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) zur „Gründung der Türkischen Republik“, fiel diesmal sehr staatstragend aus. Im Beisein des türkischen Botschafters und dreihundert weiteren Gästen wurde nämlich der Bremer Honorarkonsul der Türkei, Karl H. Grabbe, nach 17 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Und Grabbe nahm zum Ende seiner Karriere kein Blatt vor den Mund. So berichtet ein Abgeordneter, Grabbe habe die Anbringung einer Gedenktafel für den türkischen Genozid am armenischen Volk im Jahre 1915 kritisiert. Die Unterstützung türkischer Oppositioneller durch deutsche Politiker habe Grabbe eine „Gefährdung der Integrität der Türkei“ genannt.

Deutlich weniger kontrovers fiel die Rede von Bürgerschaftspräsident Weber aus. Er befürwortete den EU-Beitritts der Türkei und fand warme Worte für die Bremer Städtepartnerschaft mit dem türkischen Izmir. Ein „reger Austausch“ von Chören, Jugendlichen und, ausgerechnet, der Polizei finde statt, lobte Weber gestern die Beziehungen. Zur Erwähnung der Menschenrechtslage in Izmir nutzte der Gastgeber die Gelegenheit nach eigenen Angaben nicht.

Dabei geben die jüngsten Entwicklungen dazu Anlass genug. Nachdem im Sommer ein verschärftes Anti-Terror-Gesetz verabschiedet wurde, kam es im September türkeiweit zu Aktionen gegen Regimekritiker. In Izmir stürmte die Polizei nach Angaben von Baki Selcuk, Sprecher des „Internationalen Komitees gegen das Verschwindenlassen“ (ICAD), am 21. September die Büros der Zeitung „Atilim“, der Gewerkschaft „Tekstil-Sen“, sowie das Kulturzentrum „Yamanlar“. Zwei Journalisten wurden dabei verhaftet. Im Vorort Manisa wurde der „Verein der Sozialistischen Jugend“ durchsucht, dabei wurden zwei Jugendliche inhaftiert.

Bis heute wurden laut ICAD von den Behörden keine Gründe für die Aktionen angegeben, zudem seien den Gefangenen noch keinerlei Tatvorwürfe gemacht worden. Wegen eines „Beschränkungsbeschlusses“ erhalten die Anwälte ICAD zufolge keine Akteneinsicht.

Bülent Temal, Anwalt der türkischen Menschenrechtsorganisation IHD, berichtet von weiteren verhafteten Journalisten in Izmir. Zwei Redakteure der Zeitung „Azadi“ seien verhaftet worden, weil sie in einem Artikel über die PKK die Vokabel „Guerilleros“ statt des vorgeschriebenen „Terroristen“ verwendet haben sollen. „In der Türkei ist das ein Propagandadelikt. Ihnen drohen dafür bis zu sieben Jahre Haft“, sagt Temal. Dass der Bremer Bürgerschaftspräsident zum 83. Geburtstag der Türkischen Republik einlädt, wundert Temal nicht. „Zwar werden nicht-runde Jahrestage selbst in der Türkei kaum gefeiert“ sagt er, „aber solche Veranstaltungen dienen eben wirtschaftlichen Interessen an einem guten Verhältnis zwischen den beiden Ländern“. Mit ihnen, so Temal, werde der Öffentlichkeit ein Schulterschluss demonstriert. „Die Kritik an der Türkei wird so neutralisiert.“

Bürgerschaftspräsident Weber findet die türkischen Menschenrechtsverletzungen zwar „bedauerlich“, allerdings müsse anerkannt werden, dass im Zuge der EU-Anpassungsgesetze Fortschritte in Sachen Menschenrecht in der Türkei gemacht worden seien.

IHD-Anwalt Temal ist da skeptisch: „Einen EU-Beitritt darf es nicht zum Nulltarif geben.“ Die EU müsse klare Bedingungen für demokratische Reformen formulieren. „Die Türkei will in die EU, ohne die Menschenrechtslage zu verbessern. Das darf man nicht zulassen.“

Die nächste Gelegenheit zum kritischen Dialog ergibt sich im November: Da ist das Staatsorchester aus Izmir in Bremen zu Gast.