: Kultur im Zwischenraum
Seit sieben Jahren fungiert das Festival „eigenarten“ als Plattform für kulturellen Austausch. Noch bis zum 5. November präsentieren sich über 150 Hamburger KünstlerInnen in mehr als 30 Produktionen
Wenn es darum geht, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Verhaltensweisen und Auffassungen von Menschen – und die daraus resultierenden Probleme beim Zusammenleben – zu erklären, erfreut sich die Metapher von der „kulturellen Wurzel“ immer noch großer Beliebtheit. Scheint sie doch, vermeintlich eindeutig zu lokalisieren, auch in unsicheren Zeiten Orientierung geben zu können. Angesichts weltweiter Wanderungsbewegungen in Zeiten der „Globalisierung“ indes wird das Bild zunehmend problematisch. Längst haben über 45 Prozent aller HamburgerInnen unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund, wie das Statistikamt Nord kürzlich festgestellt hat. Deren Wurzeln verteilen sich – um im Bild zu bleiben – über den ganzen Globus und verknüpfen, was ehedem als eindeutig abgrenzbarer „Kulturraum“ erschien.
Ergebnis ist eine Vielfalt kultureller Äußerungen, die nicht nur von der Kultur „dort“ und der Kultur „hier“ erzählen, sondern vor allem von deren Aufeinandertreffen und der Entstehung von Neuem, vom „Dazwischen“, von Grenzüberschreitungen und Uneindeutigem.
Seit sieben Jahren versteht sich das „interkulturelle“ Festival „eigenarten“ vor diesem Hintergrund als kontinuierliche Plattform für den lebendigen und anregenden Austausch zwischen den Kulturen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Hamburger KünstlerInnen, die interkulturell und mit einem erkennbaren Hamburg-Bezug arbeiten, einmal im Jahr zusammenzubringen. Es sieht sich dabei als integrativer Bestandteil der Großstadtkultur, will Einblick geben in Traditionen, Religionen und Philosophien. Und unter Beweis stellen, wie ein Miteinander funktionieren kann, auf welche Weise Toleranz konstruktiv wirkt. Auf diese Weise sollen die Beteiligten – und natürlich die ZuschauerInnen – sensibilisiert werden, Integrationsfähigkeit gefördert und für eine moderne und tolerante Großstadt geworben werden.
Noch bis zum 5. November präsentieren sich über 150 Hamburger KünstlerInnen aus aller Welt in mehr als 30 Produktionen. Das Spektrum umfasst dabei Theater, Konzerte, Lesungen, Tanztheater, Filme und Installationen. Beteiligt sind neben dem Hauptaustragungsort Goldbekhaus mittlerweile 15 andere Einrichtungen – vom Abaton-Kino über das Museum für Völkerkunde bis zur Barmbeker Zinnschmelze.
Was Interkulturalität bedeutet, wird beispielsweise in der Inszenierung „Zwischen. Morgens Deutschland – abends Türkei“ deutlich. Der Regisseur Gero Viehuff und die Schauspielerin Göksen Güntel setzen sich darin mit dem Zwischen als Ort auseinander und erzählen von den zwiespältigen Gefühlen und der Situation eines deutsch-türkischen Mädchens im Konfliktfeld einer doppelten Identität: geboren in Deutschland, verwurzelt in der türkischen Tradition.
Auch die Produktion „Fremdeln die Sterne in der Ferne?“ beschäftigt sich mit einem Zwischenraum. Denn das Stück Erde, das die Schauspielerin Alina Manoukian – in Teheran geboren und in Hamburg aufgewachsen – Heimat nennt, liegt auf einer unsichtbaren Landkarte irgendwo zwischen Hamburg und Armenien. Von diesem Land erzählt und singt sie. Armenische Lieder, die für ihr Projekt neu arrangiert wurden, erzählen von der Liebe, der Lebensfreude und der Sehnsucht. Dazwischen erzählen Geschichten vom inneren Pendeln zwischen den Welten, von der Frage nach Identität und einem Zustand der Zerrissenheit. ROBERT MATTHIES
bis zum 5. November u.a. in Goldbekhaus, Kantine des Schauspielhauses, Museum für Völkerkunde und Zinnschmelze; Programm unter www.festival-eigenarten.de