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Archiv-Artikel

Zurück in der Rinne

Bobpilot David Friedrich hat sich letztes Jahr bei einem Sturz im Eiskanal schwere Kopfverletzungen zugezogen. Erinnern kann er sich an den Unfall nicht. Die Amnesie erleichtert ihm sein Comeback

VON MARKUS VÖLKER

„Das ist mein erster Kontakt zum Eis“, sagt David Friedrich. Er muss jetzt da runter. Durch die Schlangengrube, durchs Turbodrom und an der Echowand vorbei. 1240 Meter ist die Bobbahn in Königssee lang. Es geht durch 13 Kurven. Das Gefälle liegt bei 9,3 Prozent. Knapp eine Minute dauert die Talfahrt. Es ist eine besondere Fuhre für Friedrich (20). Nach einem üblen Unfall steht er wieder am Anfang. „Ich wüsste aber nicht, wovor ich Angst haben sollte“, sagt der Pilot des sächsischen SC Oberbärenburg. Er weiß, dass die Kunsteisbahn in Bayern tückisch ist. Im März 2004 starb hier Friedrichs Vereinskollegin Yvonne Cernota. An der Echowand wurde der Bob aus der Bahn geschleudert. Die Anschieberin, erst 24 Jahre alt, erlag ihren schweren Kopfverletzungen.

Friedrich hat keine Erinnerungen an seinen Unfall in Altenberg. Das sei gut so. „Ich weeß nüscht mehr davon“, sagt er in breitem Sächsisch. „Von zwei Wochen vorm Unfall bis Mitte Januar weeß ich absolut nüscht mehr, das ist auch besser fürs Weiterfahren.“ Er stürzte am 10. Dezember des vergangenen Jahres, im Viererbob, den er damals noch nicht so gut beherrschte. Im Zweierbob lief es da schon recht gut für den jungen Lenker, obwohl es ihn immer mal wieder „auf die Gusche“ haute, auch in Königssee, doch im Vierer fehlte ihm eindeutig die Erfahrung. Die Altenberger Kurve 9 wurde ihm zum Verhängnis. Er fuhr sie normal an. Dann kam er wegen einer plötzlichen Lenkbewegung zu früh herunter. Der Schlitten geriet außer Kontrolle.

Friedrich hat versucht, das Geschehen zu rekonstruieren, hat sich das Bahnvideo angeschaut und den Trainer befragt. Jetzt steht für ihn fest: Es war ein Fahrfehler. Einer mit Folgen. „Der Bob schob um die Ecke und kippte um“, schildert er das Szenario. Dann habe sich der Bob im Kreisel noch einmal aufgestellt. „Da war ich aber schon bewusstlos. Ich hab den Kopp nich schnell genug wegbekommen.“ Am Ende des Rundells sei der Bob „oben an die Bretter geschossen“. Friedrichs Kopf geriet zwischen Bob und Bande. „Da ist mir der Helm kaputtgegangen.“

Der Helm sprang auf wie ein Kürbis, der zu Boden fällt. „Deswegen war das so ein schwerwiegender Unfall“, sagt Friedrich. Der Schlitten schoss noch 400 Meter weit mit Tempo 80 zu Tal. Die Ärzte im Görlitzer Krankenhaus diagnostizierten ein Schädeltrauma dritten Grades. Drei Wochen lag Friedrich im künstlichen Koma. Als er nach Silvester aufwachte, kam es ihm vor, als sei er Opfer der „Versteckten Kamera“ geworden. „Da standen lauter Leute im grünen Kittel um mich rum und man erzählte mir, ich sei mit dem Vierer gestürzt.“ Ihr spinnt doch, hat er ihnen geantwortet: „Ich bin doch nur Zweer gefahrn.“ Sie machten ihn auf das Problem mit dem Gedächtnis aufmerksam.

Das Comeback in Königssee ist geglückt. „Es läuft einwandfrei“, sagt Friedrich, nachdem er wie in alten Zeiten übers Eis gerattert ist. Er hat nicht nur die erste Fahrt ins Tal heil überstanden, auch die anschließenden Trainingstouren liefen ganz gut. Sogar der Bundestrainer hat den unerschrockenen Burschen aus Sachsen gelobt. Friedrich findet nicht, dass er besonders mutig ist, gar ein Hasardeur in der Eisschlange. Weil er keine Erinnerung an den Unfall hat, kann er sich relativ unbeschwert an die Lenkseile setzen. Die Amnesie hat ihm die Rückkehr erleichtert. Er muss sich nicht mit einem bildreichen Trauma beschäftigen, im Gegenteil, durch den partiellen Gedächtnisverlust blendet er die Unfallfahrt komplett aus. Das gelingt ihm offenbar hervorragend. Und so will er es im Bobsport noch weit bringen. In dieser Saison soll es mindestens Platz drei bei der deutschen Juniorenmeisterschaft Anfang Januar sein und die Teilnahme an der WM der Nachwuchspiloten. Das wäre erstaunlich genug, denn „nur wenige haben mir zugetraut, dass ich überhaupt zurückkomme und nun sogar sowohl athletisch als auch fahrerisch besser bin als vorher“.

Nicht nur das Gedächtnis hatte gelitten, weswegen Friedrich in den ersten Tagen nach dem Aufwachen mittags nicht mehr wusste, was ihm eine Schwester am Morgen aufgetragen hatte, auch die Motorik war beeinträchtigt. „Ich war auf den Rollstuhl angewiesen. Dinge, die selbstverständlich für mich waren, musste ich neu lernen.“ Essen zum Beispiel oder Laufen. Er wurde zur Rehabilitation nach Kreischa überwiesen. Ein Neuropsychologe kümmerte sich dort um ihn. Es ging rasch voran. Für ihn stand bald fest, dass er weitermachen will. Der sächsische Verband unterstützte ihn, gab zum Beispiel Geld für die Fahrten der Eltern zur Klinik. Die Mutter stellte sich dem Willen des Sohnes nicht entgegen. „Wenn jemand etwas mit Herzblut tut, kann man ihn nicht davon abhalten“, sagt David Friedrich. Nur mit der Koordination seiner Bewegungen klappte es noch nicht so gut. „Das musste ich auch neu lernen, beim Fußball zum Beispiel: Wie spiele ich den Pass, wie scharf muss er sein?“

Er ist nicht mehr der Einzige in der Familie, der das Risiko in der Rinne mag. Sein jüngerer Bruder Francesco (16) sitzt nun auch im Bob. Der schiebt derzeit das Gefährt des Älteren in Königssee an. Und weil das David Friedrich nicht schnell genug geht, sucht der frühere Hürdenläufer athletische Anschieber, „gern auch Fußballer oder Handballer aus dem Raum Berlin, schreiben Sie das ruhig in Ihren Artikel rein“. David Friedrich braucht Leute hinter sich. Er will ja bald wieder Vierer fahren.