: Abtreiben verboten, Mütter egal
Zehn Tage vor den Präsidentschaftswahlen in Nicaragua stimmt auch die Fraktion der Sandinisten unter Führung Daniel Ortegas geschlossen für ein völliges Verbot der Abtreibung. Frauenorganisationen protestieren, die katholische Kirche jubelt
AUS MANAGUA RALF LEONHARD
Lebensunfähige Embryos und die Produkte von Vergewaltigung müssen in Nicaragua künftig ausgetragen werden, auch wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Eine in Rekordtempo durch die Nationalversammlung gepeitschte Gesetzesnovelle dieses Inhalts wurde Donnerstag unter heftigem Protest der Frauenverbände beschlossen. Mehrere dutzend Frauen hatten die ganze Nacht eine Mahnwache vor dem Parlament gehalten, um die Abstimmung im letzten Moment zu verhindern. Auch internationale Organisationen und mehrere Botschaften solidarisierten sich mit dem Widerstand. Vergeblich. Auch die Fraktion der Sandinistischen Befreiungsbewegung (FSLN) stimmte geschlossen für das Projekt.
Seit der Reformperiode des liberalen Präsidenten José Santos Zelaya vor über 100 Jahren ist die sogenannte therapeutische Abtreibung in Nicaragua straffrei. Wenn also Mediziner der Meinung sind, Leben oder Gesundheit der Mutter seien gefährdet, wenn die Schwangerschaft durch Vergewaltigung hervorgerufen wurde oder schwere Missbildungen des Kindes zu erwarten sind, darf abgetrieben werden. Während der sandinistischen Revolution gab es Mitte der 80er-Jahre eine kurze öffentliche Diskussion über die völlige Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs nach dem Vorbild Kubas. Mit Rücksicht auf den starken Einfluss der Katholischen Kirche wurde die Debatte aber dann von der sandinistischen Führung abgewürgt. Die sandinistische Frauenorganisation AMNLAE wurde an die Kandare genommen: Der Zeitpunkt für feministische Neuerungen sei noch nicht gekommen, hieß es von den Comandantes. Aber auch nach der Abwahl der Sandinisten 1990 blieb die medizinisch indizierte Schwangerschaftsunterbrechung zunächst unstrittig. Mehrere von der Kirche lancierte Versuche, ein Totalverbot einzuführen, scheiterten an der sandinistischen Sperrminorität im nicaraguanischen Parlament.
Anlässlich einer umfassenden Strafrechtsreform, die seit Monaten debattiert wird, sah die Bischofskonferenz aber jetzt den Zeitpunkt gekommen, neuerlich einen Vorstoß zu unternehmen. Eine entsprechende Petition wurde dem Präsidenten der Nationalversammlung, Rene Nuñez, FSLN, überreicht. Nuñez riet den Bischöfen, ihr Anliegen nicht für die große Reform aufzusparen, sondern als Reform des alten Strafgesetzes zu formulieren. Diese könne an den Ausschüssen vorbeigeschleust und im Schnellverfahren beschlossen werden. Von den fünf Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 5. November sprach sich einzig der Reformsandinist Edmundo Jarquín dagegen aus. Eine Mehrheit war also gesichert. Lediglich die Strafandrohung von bis zu zwanzig Jahren für Mutter und Mediziner wurde auf drei bis vier Jahre reduziert.
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