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Archiv-Artikel

Kinder sind keine Privatsache KOMMENTAR VON COSIMA SCHMITT

Ihre Schicksale sind keine Einzelfälle: Mädchen und Jungen leiden, eingesperrt in Kinderzimmern, die zu Kerkern werden. Verstört diskutiert die Öffentlichkeit, ob die Gesellschaft häufiger als bisher in die Familien eingreifen muss – und das Wohl der Kinder stärker der Obhut des Staates unterstellen soll.

Diese Debatte ist mehr als die naheliegende Reaktion auf unfassbare Taten. Sie lässt sich auch als Indiz für ein weit umfassenderes Umdenken verstehen. Nahezu unangefochten herrschte über Jahrzehnte die Vorstellung, das Aufziehen eines Kindes sei Privatsache seiner Eltern – und die Mutter die einzig wahre Hüterin des Kindeswohls. Der Staat solle lediglich in Extremfällen in die Familien eingreifen.

Dieses alte Dogma bröckelt derzeit an vielen Stellen. Selbst am Dorfstammtisch mag kaum jemand mehr eine Frau als Rabenmutter schelten, wenn sie einen Teil ihrer Erziehungsverantwortung an eine Kita abgibt. Die Ganztagsschule ist längst konsensfähig geworden. Selbst die CDU, bis vor kurzem noch Hüterin tradierter Familienmodelle, durchlebte innerhalb kurzer Zeit eine radikale Wende. Welten liegen zwischen einer Ursula von der Leyen, die selbstverständlich für die Belange berufstätiger Mütter eintritt, und den Heimchen-am-Herd-Ideologen vergangener Tage.

Es hat historische Gründe, dass dieses Umdenken in Deutschland später begann als in anderen Ländern. Zu mächtig ist die Erinnerung an das Nazi-Regime, in dem sich der Staat ideologisch der Kinder bemächtigte. Aber auch das Erbe der DDR, in der der Staat kräftig in der Erziehung mitmischte, führte zu Abwehrreaktionen.

Bei aller Besorgnis darf man eins nicht vergessen: Kevin und Co. sind schreckliche, aber eher seltene Extremfälle. Wichtiger sind jene Eltern, die ihre Kinder liebevoll umsorgen, aber überfordert sind mit der Aufgabe, ein Kind im Alleingang für die Erfordernisse der Moderne zu rüsten.

So falsch es also wäre, nun Eltern unter Generalverdacht zu stellen, so hilfreich wäre es, würde die jetzige Debatte ein Denken verfestigen: dass das Großziehen von Kindern ein allgemeines Anliegen ist, an dem viele Menschen in vielen Funktionen mitwirken sollten.