: Blau-gelbe Nasenstüber
BOXEN Wladimir Klitschko macht mit seinem Gegner kurzen Prozess. Das soll auch seinen ukrainischen Landsleuten Mut machen
VITALI KLITSCHKO
AUS OBERHAUSEN SUSANNE ROHLFING
Auch nur den Hauch von Gefahr zu verbreiten, das war Samstagnacht der größte Fehler des Australiers Alex Leapai. Denn prompt ließ Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko das Spielen sein, donnerte erst eine und dann noch eine Links-rechts-Kombination mit entschlossener Härte durch die Deckung seines völlig überforderten Herausforderers und machte damit unmissverständlich klar, was er am frühen Sonntagmorgen in den Tiefen der Arena Oberhausen so in Worte fasste: „Ich wollte auf keinen Fall verlieren, ich musste einfach gewinnen heute Abend.“
Oberflächlich betrachtet ging es für den 38 Jahre alten Ukrainer um den 62. Sieg im 65. Profikampf, um eine Kraftdemonstration im 25. Weltmeisterschaftsduell, um einen weiteren Triumph nach zehn Jahren ohne Niederlage und – natürlich – um die erfolgreiche Verteidigung seiner drei großen Schwergewichts-Gürtel der Weltverbände IBF, WBO und WBA.
Doch Wladimir Klitschko wollte diesmal nicht nur für sich, seine Fans und sein Bankkonto geboxt haben, er wollte, dass der Kampf ein Lichtblick ist für die Menschen in seiner krisengeschüttelten Heimat Ukraine. Er traute sich zu, mit seinem Auftritt vom drohenden Krieg mit Russland und der möglichen Spaltung des Landes ablenken zu können. Ein schmales blau-gelbes Bändchen an seiner wie üblich knallroten Hose signalisierte dezent seine Solidarität. Dazu, weniger subtil, der Auftritt seiner Schwägerin Natalia, der Frau seines in der ukrainischen Politik engagierten Bruders Vitali, die vor dem Kampf in blau-gelber Robe die ukrainische Nationalhymne sang.
„Der Kampf war ganz wichtig für meine Landsleute“, sagte Wladimir Klitschko nach dem vorzeitigen Sieg nach 2:06 Minuten der fünften Runde. „Ich hoffe, dass wir die Krise in der Ukraine überstehen, so wie ich es geschafft habe, den Kampf zu überstehen.“ Er wünsche sich eine demokratische, europäische Ukraine. Und: „Ich hoffe, dass Frieden in den Köpfen entsteht.“ Vitali Klitschko, zuletzt Weltmeister des vierten großen Weltverbandes, des WBC, gehörte während der Proteste auf dem Maidan zu dem Oppositionsbündnis, das den Rücktritt des Präsidenten Wiktor Janukowitsch forderte und am Ende auch durchsetzte.
Am Samstag war er wie bei jedem Kampf seines Bruders als Sekundant dabei. Er trug den extragroßen Holzhocker für die Rundenpausen und den Spuckeimer in die Halle, massierte seinem Bruder in den Sekunden vor dem ersten Gong die Schulter und beobachtete das Kampfgeschehen aus der Ringecke.
Er sah einen chancenlosen Herausforderer, der bereits in der ersten Runde nach ersten Treffern des Weltmeisters wackelte. Zum Pflichtherausforderer ist der aus Samoa stammende Australier geworden, weil er die russische Schwergewichts-Hoffnung Denis Boytsow überraschend ausgeknockt hatte. Seine angeblich so gefährlichen Punches entpuppten sich gegen Klitschko jedoch als irrlichternde Schwinger, die den Weltmeister nicht einmal touchierten.
Klitschko begnügte sich nicht lange damit, den 34 Jahre alten Herausforderer auf Distanz zu halten. Er schlug nicht mehr, um zu beeindrucken. Er schlug, um zu vernichten. Nachdem der Australier zum zweiten Mal zu Boden gegangen war, brach der Ringrichter das ungleiche Duell ab. Später gab Alex Leapai zu Protokoll: „Wladimir ist in Bewegung geblieben, ich kam nicht an seinem Jab vorbei und konnte meine gefährlichste Waffe, meine Rechte, nicht landen.“
Wladimir Klitschko will voraussichtlich im September wieder in den Ring steigen. Als „ultimativen Traum“ bezeichnet er die Möglichkeit, sich den fehlenden vierten WM-Gürtel zu holen. Da sein Bruder nur noch als Champion Emeritus, als Champion im Ruhestand, geführt wird, ist der WBC-Titel inzwischen frei. Am 10. Mai kämpfen die beiden Amerikaner Chris Arreola und Bermane Stiverne darum. Und Klitschko hofft, dass der Weltverband anschließend seine Zustimmung zu einem Vereinigungskampf gibt. Vitali Klitschko, der den Kampf um Demokratie in der Ukraine inzwischen als „viel wichtiger für mich“ bezeichnet, ist zuversichtlich, egal gegen wen sein Bruder künftig antritt. „Wenn Wladimir zu 100 Prozent topfit ist, kann ihn keiner in der Welt schlagen.“