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Archiv-Artikel

Rechts-freie Innenstadt

NPD und „Freie Kameraden“ in Göttingen: Rund 200 Rechte treffen sich zur Kundgebung, bis zu 4.000 Gegendemonstranten stehen 6.000 Polizisten gegenüber. Deren Leitung zufrieden mit „Deeskalation durch Stärke“

Das demokratische System wollen sie abschaffen. Die verfassungsrechtliche Ordnung beseitigen. Gleichwohl forderten die Redner von NPD und Freien Kameradschaften (FK) am Sonnabend in Göttingen aber ihr „Recht auf freie Meinungsäußerung“ und auf „Versammlungsfreiheit“ ein.

Da schimpfte der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Adolf Dammann, Deutsche könnten „in Deutschland nicht mehr demonstrieren“. Diese Stadt, beklagte Dammann, sei „für Nationalisten ein rechtsfreier Raum“ – eine „No-Go-Area“. Gegen den „Gutmenschen-Popanz“ wollten sie in Göttingen aufmarschieren. Am Mittag durften die 225 Neonazis gemäß einer behördlichen Auflage aber nur auf dem Bahnhofvorplatz stehen – für zwei Stunden. Wegen der zu erwartenden Proteste hatte das Bundesverfassungsgericht einzig diese Kundgebung zugelassen.

Mit drei Aktionen in diesem Monat wollten die Rechten eigentlich die große Rache nehmen: Bis heute wurmt es sie, dass sie am 29. Oktober vergangenen Jahres ihren Marsch durch Göttingen wegen massiver Proteste hatten abbrechen müssen. Mehr als 4.000 Demonstranten hatten sich auf der Straße 250 marschierenden Neonazis entgegengestellt. Die Strategie der Rechten, durch ständige Aktionen den Protest leer laufen zu lassen, misslang an diesem Sonnabend gänzlich.

„Haut ab“-Rufe schallten den Neonazis entgegen, kaum dass sie mit dem Zug am Bahnhof angekommen waren. Gut 100 Demonstranten waren über den hinteren Zugang in das Gebäude gelangt. Um die 4.000 Menschen waren am Vormittag erneut zu der Gegenaktion des „Bündnisses gegen rechts“ gekommen. „Gesicht zeigen“ das Motto, „Verbot aller Nazi-Organisationen“ die Forderung.

Die Neonazis betrieben nur eine leicht veränderte nationalsozialistische Politik, erklärte der DGB-Regionalvorsitzende Lothar Hanisch. Mit Artikel 139 des Grundgesetzes– Fortgeltung der Entnazifizierungsvorschriften –, könnten ihre Kundgebungen unterbunden werden. Verbote allein aber reichten nicht, meinte Hanisch. Ludger Gaillard, evangelischer Pastor, und Cornelius Yufanyi von der Flüchtlingsorganisation „The Voice“ ergänzten: Gestärkt werde der „rechte Rand“ durch eine allgemeine Politik der „Ausgrenzung“. Und ein Vertreter der „Antifaschistischen Linken International“ sagte, die Akzeptanz verschiedener Protestformen habe es ermöglicht, dass die „Faschisten in Göttingen keine Chance haben“.

Vielleicht deswegen hatte Polizeipräsident Hans Wargel ein massives Polizeiaufgebot angefordert. Die Ausschreitungen, die sich Polizei und Lokalpresse zuvor ausgemalt hatten, blieben indes aus. Insgesamt 6.000 Beamte hätten das Konzept „Deeskalation durch Stärke“ umgesetzt, so Wargel später. Beruhigend wirkte ihr Tun nicht: In der Innenstadt durchsuchten Beamte, wen immer sie als „links“ ausmachten. 1.562 Identitätsfeststellungen wurden durchgeführt, 33 Ingewahrsamnahmen erfolgten. Drei Polizeireihen schirmten später den „schwarzen Block“ ab.

Am Bahnhof forderte derweil FK-Führer Christian Worch, die Polizei müsse den Kameraden die Straße freimachen. Auch FK-Kader Alexander Hohensee forderte „Meinungsfreiheit“ ein, um gleich darauf über die „Musterdemokröten“ herzuziehen. Kein rechter Redner der nicht ankündigte: „Wir kommen wieder!“ Zunächst verzögerte sich allerdings die Abfahrt, weil NPD-Grande Dammann eine Bombe im Zug befürchtete. Am kommenden Wochenende wollen die Neonazis erst einmal in Bremen aufmarschieren. ANDREAS SPEIT