: Auf Sinnsuche für die Bundeswehr
Nach den Schädelfotos gibt es eine politische Diskussion über Auslandseinsätze: Franz Josef Jung will sie besser durchdenken, Peter Struck findet, manche seien unnötig geworden, und Jürgen Trittin will mehr Soldaten schicken
BERLIN taz ■ Auslandseinsätze deutscher SoldatInnen sollen zukünftig stärker bedacht werden als bisher. Das forderte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS): „Es ist bislang versäumt worden, die zunehmende Zahl deutscher Auslandseinsätze durch eine breite Diskussion über den Sinn und Zweck dieser Einsätze zu begleiten.“ Jede weitere Verpflichtung müsse die Regierung sehr gut erklären. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion und frühere Verteidigungsminister, Peter Struck, sagte der Bild am Sonntag, man müsse sich immer wieder fragen, „ob ein Einsatz noch berechtigt ist. Der Krieg in Bosnien etwa ist seit elf Jahren vorbei, und die Bundeswehr ist immer noch mit einem großen Kontingent dort.“
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, sagte der taz, „die Bundeswehr muss sich auf Stabilisierungseinsätze unter dem Dach der UN konzentrieren“. Mit insgesamt 50.000 Soldaten weniger in der Bundeswehr sei es immer noch möglich, „bis zu 16.000 davon ins Ausland zu schicken“. Allerdings müsste man dann etwa fünfmal so viele bereithalten, um die vergleichsweise kurzen Einsatzzeiten vor Ort zu garantieren. „Wir wollen ja keine Desperados im Ausland“, sagte Trittin in Anspielung auf die Veröffentlichung makabrer Bilder aus Afghanistan, auf denen Soldaten mit Knochen herumalbern.
Trittin kritisierte zudem die Forderung Strucks, die Aufgaben deutscher Soldaten, etwa in Bosnien, könnten auch von Polizisten anderer Länder übernommen werden: „Wir brauchen in so einem Fall polizeilich ausgebildete Spezialkräfte der Bundeswehr.“ Auch der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Werner Hoyer, plädiert dafür, die Obergrenze für im Ausland eingesetzte SoldatInnen zu erhöhen. Dazu sei ein Umbau der Bundeswehr notwendig. „Es ist absurd, dass die Hälfte der Streitkräfte in der Grundausbildung gebunden ist“, sagte Hoyer der FAS. Jürgen Trittin forderte, die Beschaffungspolitik der Bundeswehr den Anforderungen anzupassen: „Wozu brauchen wir so viele neue U-Boote? Wichtiger sind mehr Transport- und Schutzkapazitäten.“
Bei der Vorstellung des neuen „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ am vergangenen Mittwoch hatte Verteidigungsminister Jung betont, es gebe „keine Checkliste von eins bis zehn“, anhand deren man über die Entsendung deutscher SoldatInnen ins Ausland entscheiden kann. Einer Umfrage des Forschungsinstitutes Forsa zufolge wollen 46 Prozent der Befragten, dass sich die Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen künftig mehr zurückhält. Grund dafür sind die jüngst erschienenen Skandalfotos aus Afghanistan. 50 Prozent sehen keinen Bedarf für eine Verhaltensänderung, 4 Prozent hatten keine Meinung. Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt fürchtet: „Wenn noch zwei, drei Vorfälle auch minderer Bedeutung hinzukommen, kann in Deutschland eine ungute Stimmung entstehen, in der die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Frage gestellt werden.“ DOMINIK SCHOTTNER