: Fast ein Billy-Regal: 27 Bände für Heinrich Böll
Alle freuten sich. Da standen die 27 Bände der Kölner Ausgabe dann also herum, seltsamerweise eher dezentral auf einem Tisch am Rand platziert. Schlicht rot, jeder einzelne Band ziemlich dick, alle zusammen können schon mal wenigstens ein halbhohes Billy-Regal füllen. Der 27. und letzte Band dieser kommentierten Ausgabe der Werke Heinrich Bölls ist soeben erschienen. Anlass, ein bisschen zu feiern – sinnigerweise in der Heinrich Böll Stiftung in Berlin – und sich dabei zu fragen, ob der Nobelpreisträger und Klassiker der alten Bundesrepublik uns heute noch etwas zu sagen hat. So eine Ausgabe ist ja manchmal eher eine Beerdigung erster Klasse.
Zunächst aber gab es ganz nebenbei Einblicke in die Abgründe der deutschen Philologie. In der Art und Weise, wie sich alle Beteiligten darüber freuten, dass die Böll-Ausgabe nach Plan abgeschlossen werden konnte – 9 Jahre, 3 Bände pro Jahr, ergibt 27 –, drückte sich indirekt aus, dass das keineswegs die Regel ist. Von regelrechten „Editionsruinen“ sprach der Literaturwissenschaftler Ralf Schnell, der für die Herausgeber redete. Dass dieses traurige Schicksal der Kölner Ausgabe erspart werden konnte, freute dann auch den erkennbar stolzen Helge Malchow, Chef des Böll-Verlages Kiepenheuer & Witsch, und Ralf Füchs als Chef der Böll Stiftung Hausherr und einer politischen Lesart des Böll’schen Werkes zugeneigt: „Bölls praktizierte Nachdenklichkeit war kein Rückzug in die Innerlichkeit, sondern ein öffentliches Gegen-den-Strich-Bürsten affirmativer Sprachroutinen von Politik, Kirche und Medien.“
Kulturstaatsminister Bernd Neumann gemeindete Böll dann in einen überparteilichen Kanon ein: „Sein Werk gehört zum nationalen literarischen Erbe Deutschlands.“ Der selbstreflexive Dreh, auf den man bei seiner Ansprache die ganze Zeit über wartete, kam dann auch: Als junger CDU-Politiker wäre ihm nichts ferner gewesen, als ausgerechnet eine Lobrede auf Heinrich Böll zu halten, so der heute 68-jährige Neumann. Aber man entwickle sich halt weiter. Der Parteienstreit um Böll ist also wirklich erkennbar erledigt.
Und der Schriftsteller Heinrich Böll? Seine Lebendigkeit zu beweisen trat der Zeit-Literaturkritiker Ulrich Greiner an. Er hatte es nicht ganz leicht. Die beiden in der Feierstunde von einer Schauspielerin gelesenen Texte Bölls – „Damals in Odessa“ von 1949 (Band 4 der Kölner Ausgabe) und „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von 1963 (Band 12) – waren schon arg umständlich.
Greiner schilderte Böll dann als „wahrhaft naiven“ Autor. Keine Eisschränke der Ironie. Keine Überlegenheit. Zorn als ästhetische Kategorie. Dass Böll zurzeit nicht die literarische Agenda bestimmt, wendete Greiner gegen die Zeitläufte: „Wir sind abgebrüht, wir leben im ironischen Zeitalter.“ Böll wird bei ihm so zu einem Gegenspieler des postmodernen Zynismus. – Wer dessen bedarf, bekommt ihn, in gleich 27 Bänden, reichlich. DIRK KNIPPHALS