: Obdach für den Winter
Sozialsenatorin Schnieber-Jastram stellt das neue Winternotprogramm vor, an dem nicht viel neu ist. Die Opposition fordert mehrere kleine Unterkünfte einzurichten. 2006 starben bereits Obdachlose
VON KAIJA KUTTER
Die Betten sind gemacht. Ab Morgen startet in Hamburg wieder das Winternotprogramm für Obdachlose. Zusätzlich zu den rund 3.100 Dauerwohnplätzen bieten Stadt und Kirchen von November bis März 200 provisorische Schlafgelegenheiten – davon die Hälfte in recht beliebten kleineren Wohncontaineranlagen, die übrigen 100 in der Sammelunterkunft an der Sportallee.
„Es muss in Hamburg kein Mensch auf der Straße schlafen“, versprach CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram als sie gestern die frisch renovierten Räume der Groß Borsteler Unterkunft präsentierte. Vier Betten in den Zimmern, die hellblaue Bettwäsche mit rosa Blümchen verziert. Die Unterkunft werde gut angenommen, versicherte sie. „Das Ziel, die Menschen vor dem Erfrieren zu schützen, haben wir erreicht.“
Ob das so stimmt, darüber wird seit dem Tod zweier Obdachloser gestritten. Am 30. Januar fand eine Spaziergängerin die Leiche des 40-jährigen Arne Buckenauer in seinem Iglu-Zelt auf einer Wiese am S-Bahnhof Neugraben. Er hatte bei Minus 13 Grad im Freien übernachtet. Nur sechs Tage später wurde auf einem verwilderten Gelände an der Autobahnabfahrt Öjendorf der ebenfalls 40-jähriger Werner F. tot in einem zerfetzen Zelt aufgefunden. In beiden Fällen hat laut Obduktion nicht die Kälte, sondern der schlechte Gesundheitszustand den Tod verursacht. Buckenauer starb an einer Herzkrankheit, Werner F. an einem durchgebrochenen Magengeschwür. Ein Magengeschwür ist behandelbar und kein Grund zum Sterben. Weil sie ärztlich kaum behandelt werden, werden Obdachlose im Schnitt nur 45 Jahre alt und sterben 30 Jahre früher als Leute mit Wohnung, fand bereits 2001 die Medizinerin Frauke Ishorst-Witte in einer Studie heraus. Dass das Leben unter freien Himmel ganzjährig riskant ist, zeigte der Tod eines dritten Mannes, der in der Nacht zum 11. August in Wilstorf in seinem Zelt verbrannte. Und erst am Sonntag wurde mitten in der Neustadt die Leiche einer 64-jährigen Obdachlosen gefunden, deren Todesursache noch obduziert werden muss.
GAL und SPD kritisieren, dass die Notunterkunft an der Sportallee mit seinen hundert Plätzen nicht attraktiv genug sei und fordern mehr dezentrale kleine Unterkünfte. „Ich kann verstehen, wenn ein Obdachloser diese Unterkunft auch bei zehn Grad Minus meidet“, sagt die GAL-Sozialpolitikerin Martina Gregersen. In den Viererzimmern gebe es ähnlich wie im Gefängnis auch sozialen Stress, den viele nicht aushielten. Es seien zudem ganz praktische Dinge, die die Menschen aus der Sportallee fernhielten. Zwar bringt sie abends ein Shuttle-Bus der Caritas dort hin, doch morgens, ab 9 Uhr müssen die Menschen das, in einem Indutriegebiet gelegene, Heim verlassen. Zu Fuß oder schwarzfahrend, wenn sie kein Geld für das HVV-Ticket haben. Der morgendliche Rauswurf, gesteht ein Mitarbeiter, soll „Selbsthilfekräfte“ mobilisieren.
Der SPD-Sozialpolitiker Uwe Grund hatte im Februar „Ausweiskontrollen“ als weiteren Abschreckungsgrund ausgemacht: „Das reicht schon, damit etliche Obdachlose sagen, da gehe ich nicht hin.“ Immerhin hier gab Jürgen Coym, der für die Sportallee zuständige Leiter des Landesbetriebs Pflegen & Wohnen, Entwarnung und sprach von einem „Missverständnis“. „Wir lassen uns nur den Namen zurufen und prüfen deren Richtigkeit nicht nach.“ Keinesfalls wolle „Pflegen & Wohnen“ verantworten, „dass sich hier jemand nicht angenommen fühlt und auf der Straße übernachtet“.
Doch die Ausweitung der kleinen Unterkünfte wird es laut Schnieber-Jastram nicht geben. „Sie werden es nicht schaffen, alle zu erreichen, auch wenn Sie mehr Plätze anbieten“, sagte sie. Und auf die Frage, ob sie aus den Todesfällen Konsequenzen zieht: „Es kann immer passieren, dass jemand, der draußen lebt, stirbt.“ Um jene, die Hilfe ablehnen, würden sich gezielt Straßensozialarbeiter kümmern.