: Rumänien nominiert Kandidat
Der ehemalige EU-Chefunterhändler Leonard Orban soll Kommissar in Brüssel werden
BUKAREST taz ■ Rumänien nimmt einen neuen Anlauf, um einen Kandidaten um den Posten des EU-Kommissars zu besetzen. Wie Europaministerin Anca Boagiu gestern bestätigte, handelt es sich um den Ex-EU-Unterhändler Leonard Orban, einen parteilosen Experten für europäische Politik. Der erste Kandidat, Varujan Vosganian, war nicht zuletzt an Protesten aus Brüssel gescheitert. Die waren alles andere als unbegründet: So ist Vosganian als Kolumnist der rechtsradikalen Zeitschrift Rost tätig. Der in den USA lebende Securitateüberläufer Liviu Turcu warf ihm kürzlich vor, Anfang der 1980er-Jahre als inoffizieller Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes angeworben worden zu sein. Zudem werden Vosganian Kontakte zu einem zwielichtigen Wirtschaftsoligarchen nachgesagt.
Doch diese Anwürfe waren am Sonntagabend in einer Talkshow, in der es um Vosganians Kandidatur gehen sollte, kein Thema. Stattdessen sinnierten zwei Philosophen über die künftige Mission Rumäniens als EU-Mitglied. Diese bestünde darin, in die EU eine geistige Dimension einzubringen, um so dem verheerenden westlichen Materialismus und Konsum einen auf christlichen Traditionen basierenden Riegel vorzuschieben.
Für die rumänischen Medien ist die Ablehnung Vosganians und dessen Rückzug, der damit begründet wurde, dem Ansehen Rumäniens im Ausland nicht schaden zu wollen, ein Skandal. Und ein weiterer Beweis für eine europaweite Verschwörung gegen Rumänien.
In Wahrheit handelt es sich aber um einen Machtkampf, der seit Monaten zwischen dem Staatschef und dem Premierminister ausgetragen wird. Vosganian war der Wunschkandidat des Ministerpräsidenten. Nachdem die von Vosganian gegründete rechte Partei Union der Rechtskräfte (UFD) mit der liberalen Partei des Premiers vereinigt wurde, erhielt der zurückgewiesene Kommissar einen Leitungsposten in der Parteiführung. In dieser Eigenschaft wurde er 2004 in den Senat gewählt. Gleichzeitig agierte er als Vertreter der armenischen Minderheit und Leitungsmitglied des rumänischen Schriftstellerverbandes.
Wenn Vosganian tatsächlich ein verdeckter Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes ist, wie dies am Montag der Securitateüberläufer Turcu in den Zeitungen Adevarul und Jurnalul National erneut behauptete, dann wäre dies ein zusätzlicher Beweis für die Spekulationen bezüglich des Fortbestands intakter Securitateseilschaften.
Die rumänische Gauck-Behörde erklärte, es gebe keine Hinweise für eine IM-Tätigkeit Vosganians. Andererseits existiert aber ein ungeschriebenes Gesetz, wonach die Identität der Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes, die vor der Wende aktiv waren, nicht bekannt gemacht werden darf, um eventuelle laufende operative Tätigkeiten nicht zu gefährden.
Staatspräsident Traian Basescu beteuerte, er sei seitens des Auslandsgeheimdienstes nicht über die Eigenschaft Vosganians als verdeckter Mitarbeiter informiert worden. Einige Kommentatoren glauben indes, der Präsident habe durch sein Schweigen versucht, den Premier auch auf internationaler Ebene zu kompromittieren. WILLIAM TOTOK