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Archiv-Artikel

Ein Potpourri der Stereotype

BRASILIEN Die Filmreihe „Wo Leidenschaft wie Feuer brennt“ im Zeughauskino erörtert deutsche Brasilienbilder im Laufe der Jahrzehnte – und brasilianische Deutschlandbilder

Ein Gros der deutschen Beiträge ist von vor 1960, häufig sogar noch vor 1930

Programmreihen des Zeughauskinos sind nicht unbedingt für ihren Humor bekannt. Dieses Mal aber hat man sich, zumindest im Titel der kommenden Retrospektive „Wo Leidenschaft wie Feuer brennt“ der Sehnsucht entfachenden Wirkung eines Exotismus-Klischees bedient. Und ein wenig Unbekümmertheit bewiesen. „Wo Leidenschaft wie Feuer brennt“, das sang einst Heinz Rühmann als Amazonas-Mambo in Hans Quests „Charleys Tante“ (BRD 1959). Die Kuratoren Wolfgang Fuhrmann und Philipp Stiasny haben diese markige Referenz aber auch noch mit einem Untertitel versehen. Dieser lautet: „Retrospektive der deutsch-brasilianischen Filmbeziehungen.“

Vom 2. Mai bis weit in den Juni hinein erstreckt sich diese überaus reichhaltige Zusammenstellung. Sie legt ein Potpourri verschiedenster Brasilienbilder (und -stereotype) deutscher Regisseure offen, nimmt aber auch Sichtweisen brasilianischer Regisseure zur Grundlage. Beachtlich ist hier vor allem die Tatsache, dass sich ein Gros der deutschen Beiträge aus den Jahren von vor 1960 generiert, häufig sogar noch vor 1930. Also lange vor einer Zeit, der Hugo Niebeling in „Alvorada – Aufbruch in Brasilien“ (BRD 1962) ein bildgewaltiges Denkmal setzt. Passenderweise ist „Alvorada“ auch gleich Eröffnungsfilm der Reihe. Eine episch-dokumentarische Reise durch das Land. Einst als Auftragsfilm über das wirtschaftliche Engagement von Mannesmann in Brasilien an Filmemacher Niebeling vergeben, erreichte das Projekt schnell ungleich größere Dimensionen. Fünf Monate Drehzeit, 23.500 zurückgelegte Kilometer, letztlich zwei Jahre bis zur Fertigstellung. Ein Kunstwerk auf 35 mm mit akustischer Klanggestaltung von Elektronik-Pionier Oskar Sala.

Dokumentarischen Anspruch verfolgen auch die Filme des vielversprechenden Programmsegments „Auf Expedition am Amazonas“ am 4. Mai: hier sind nicht nur die ältesten überlieferten Filmbilder aus dem Amazonasgebiet zu sehen („Aus dem Leben der Taulipang in Guayana“, Theodor Koch-Grünberg, D 1913), sondern auch die Brüder Franz und Edgar Eichhorn auf waghalsiger Fahrt durch „Die grüne Hölle“ (August Brückner, D 1931), bei der der Regisseur August Brückner selbst ums Leben kam. Am Flügel begleitet Eunice Martins.

Dass nicht nur im Urwald Gefahren lauern, sondern auch mitten in der Stadt, weiß „Zentrale Rio“ (D 1939) von Erich Engels. In ihm wird Rio de Janeiro als zwielichtiges Paradies inszeniert, angesiedelt zwischen Kriminal- und Abenteuerfilm. Düstere Geschichten in Rio sind ebenfalls Thema von Hans Steinhoffs „Das Frauenhaus von Rio / Plüsch und Plümowski“ (1927), einem vom internationalen Komitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels ermöglichten Film, der den transatlantischen Frauenhandel bebildert und von Eugen York 1950 unter dem Titel „Export in blond“ neu verfilmt wurde. Die den Filmen zugrunde liegende Geschichte stammt übrigens aus der Feder Norbert Jacques’, vielen vor allem bekannt als Autor der Doktor-Mabuse-Romane.

Das Herzstück der Reihe „Wo Leidenschaft wie Feuer brennt“ bildet ohne Zweifel Glauber Rochas „Antônio das Mortes“ (BR 1969). Eingepasst zwischen Steinhoffs Entführungsdrama und Edgar Reitz’ aktuellem Film „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ (Reitz ist zur Vorführung als Gast angekündigt), läutet er in kräftigen Farben das Cinema Novo ein. „Es gibt Filme gleich Vulkanen, und man sieht nichts mehr als Feuer das die Eingeweide der Zeit hervorschleudert“, zitiert das Programmheft Kritiker Michel Capdenac. Schöner kann man „Antônio das Mortes“ kaum beschreiben.

Dass die brasilianische Filmbewegung wiederum keinesfalls an deutschen Regisseuren vorbeiging, beweist „Die Niklashauser Fart“ (BRD 1970) von Rainer Werner Fassbinder, in dem unter anderem ein Hans Böhm zu bewundern ist, der frisch gekreuzigt auf einem Autobahnhof hängt. Einen Helden namens Antonio, wohl direkte Reminiszenz auf Rocha, gibt es auch. Und das ist nun wirklich ein leidenschaftlicher Austausch. CAROLIN WEIDNER

■ Deutsch-brasilianische Filmbeziehungen: Zeughauskino, ab 2. 5.