: Mehr als nur eine sichere Bank
KRISENFESTIGKEIT Gammesfeld hat die kleinste Bank Deutschlands und die letzte originale Raiffeisenbank. Der frühere Direktor kämpfte jahrelang um ihre Existenz. Sein Nachfolger zockte früher an der Terminbörse. Dann kehrte er zurück in seine Heimat
AUS GAMMESFELD ANNETTE JENSEN
Bankdirektor Peter Breiter trägt Turnschuhe und ein schlabberiges Sweatshirt. Wenn er von seinem Computer aufschaut, blickt er durch ein unvergittertes Fenster auf einen Misthaufen. An der Rückwand des Schalterraums hängen ein altmodischer Tresor und ein Waschbecken, neben dem Tresen prangt eine Urkunde des Verbands landwirtschaftlicher Kreditgenossenschaften aus dem Jahr 1893. Münzen und Geldscheine liegen in einer offenen Kasse auf einem Holzschränkchen; kein Sicherheitsglas trennt die Kunden von ihrem Berater.
Noch ein paar Minuten, dann öffnet die kleinste Kreditanstalt Deutschlands wie jeden Mittag für eineinhalb Stunden – und bei Bedarf auch länger. Darüber hinaus können die Gammesfelder auch an zwei Abenden pro Woche ihr Geld einzahlen oder abholen. Etwa 800 Kunden hat das Geldhaus in dem Dorf südwestlich von Rothenburg ob der Tauber. Peter Breiter kennt sie alle, denn er ist hier aufgewachsen und die Bank funktioniert nach dem von Friedrich Wilhelm Raiffeisen entwickelten Prinzip: Nur wer im Sprengel wohnt, kann bei der Genossenschaftsbank ein Konto eröffnen.
Der 39-Jährige knipst die Neonlampe über dem Tresen an, schon schlüpft ein junger Mann zur Tür herein. Er will nur schnell seine Kontoauszüge abholen – die einzige Möglichkeit, ihrer habhaft zu werden. Das spart nicht nur Porto, sondern garantiert auch einen regelmäßigen Kontakt. Der zweite Kunde ist ein Rentner, der 20.000 Euro in bar dabei hat und ohne Vorbehalte berichtet, wofür er sie kassiert hat. Eigentlich müsste Breiter bei einem so hohen Betrag den Mann aufgrund des Geldwäschegesetzes offiziell und bürokratisch korrekt identifizieren. „Aber das ist ja Quatsch, ich kenn’ den Mann ja gut und weiß über seine Verhältnisse Bescheid“, begründet er, warum er mit dem Kunden verabredet, einen Teilbetrag erst am Folgetag zu verbuchen. Lachen und Schwatzen dringt durch die Tür; der Warteraum ist inzwischen gut gefüllt. Breiter aber lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die vor einiger Zeit zugezogene Tierärztin will sich über die Geschäftsbedingungen informieren. „Wir sind eine Genossenschaft – bei uns kriegen alle dieselben Konditionen, egal ob sie 100 Euro bringen oder 100.000“ erklärt er der Frau, die erstaunt nachfragt, ob das auch für Kredite gilt. Jaja, alles andere sei doch ungerecht, sagt er im singenden Hohenfelder Dialekt. „Sonst kriegt der, wo viel hat, immer mehr, und ein Kunde in einer Krise kommt nicht mehr auf die Füße.“ Eva Mack leuchtet das ein; schon seit Langem hegt sie Misstrauen gegen die Finanzindustrie. Als sie sich vor vielen Jahren selbstständig machte, mochte ihr ihre Bank keinen Kleinkredit gewähren. „Zehnmal so viel Geld hätte ich von denen kriegen können, aber ich wollte mich nicht so hoch verschulden. Da haben sie mir gar nichts gegeben,“ erzählt die 56-Jährige. Auch dass es in Gammesfeld nur Girokonten, Sparbücher und Kredite gibt und keinerlei spekulative Finanzprodukte, findet sie gut. „Alles nicht so hoch technisiert und sehr solide“, lautet ihr Urteil. Vielleicht sollte sie ihr Konto bei der Volksbank ganz auflösen, überlegt sie. „Sie können ja bei uns erst mal reinschmecken und das in Ruhe überlegen“, verabschiedet sich der Bankdirektor.
Breiter ist durchaus kein Hinterwäldler, früher als Azubi war er sogar ein richtiger Zocker. „Ich hab damals meine ganze Bank infiziert, sogar viele Kollegen in Optionsscheine und so etwas reingetrieben“, erzählt er. Dauernd rief damals die Düsseldorfer Warenterminbörse in seiner Filiale an und wollte den vielversprechenden Nachwuchsbanker sprechen. Doch schon lange vor der Finanzkrise wuchsen seine Zweifel. Und als sein Chef irgendwann das Motto ausgab: Wir beraten nicht, wir verkaufen, hatte Breiter endgültig ein ganz schlechtes Gefühl. „Irgendwelchen 70-Jährigen Zertifikate unterjubeln, das ist doch ein Unding.“ So bewarb er sich vor ein paar Jahren bei der letzten originalen Raiffeisenbank Deutschlands.
Die gäbe es schon lange nicht mehr, wäre es nach dem Willen der Bankenaufsicht und der Konkurrenz gegangen. Ihre fortlaufende Existenz verdankt sie Fritz Vogt, einem streitbaren Mann mit buschigen dunklen Augenbrauen über schelmisch blitzenden Augen. Vierzig Jahre lang hat er das kleine Geldinstitut geführt, das er von seinem Vater übernommen hat und das von seinem Großvater gegründet wurde. „Es gibt nichts Demokratischeres als eine ländliche Genossenschaft“, begründet der 1930 Geborene seine Motivation, sich immer wieder mit Aufsichtsbehörden anzulegen. „Wir kennen die Leute ja alle, und das Bankhaus hat keine andere Aufgabe, als das Geld im Auftrag der Kunden zu verwalten. Wir haben es mit Leuten zu tun, die im Geldwesen unbedarft sind und Beratung brauchen.“ Über Kreditanträge diskutiert und entscheidet ein achtköpfiges Aufsichtsgremium. Und wenn mal ein Schuldner schwer krank wird oder in eine unvorhersehbare Krise gerät, suchen die Bankgenossen mit ihm gemeinsam nach einer Lösung. Nur ein einziges Mal ist in Gammesfeld ein größeres Darlehen geplatzt – unvorstellbar wenig im Vergleich zu anderen Kreditinstituten. Rund um Gammesfeld sind inzwischen alle Kleinfilialen von größeren Bankhäusern geschluckt worden – angeblich weil sie unrentabel waren. Doch Vogt, der in seiner Zeit als Banker jeden Computer ablehnte, nimmt genau das Gegenteil für sich in Anspruch. „Wir waren immer ein Stein des Anstoßes, weil wir hocheffizient waren und gute Konditionen bieten konnten.“ Tatsächlich lagen die Kreditzinsen zu Vogts Zeiten in der Regel nur ein Prozent über den Sparzinsen, während bei Großbanken der Abstand stets mehrere Prozent beträgt. Auch der Verwaltungsaufwand war gering, sodass Vogt neben seinem Job auch noch zahlreiche Ehrenämter ausfüllen und einen Nebenerwerbsbauernhof führen konnte.
Nur wenn mal wieder ein Prozess anstand, hatte er viel Arbeit. Über drei Instanzen klagte Vogt gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Die schrieb vor, dass jede Bank mindestens zwei fest angestellte Beschäftigte haben müsse – eine Vorgabe, die das sichere Aus für Gammesfelds Geldhaus bedeutet hätte. Das Bundesverwaltungsgericht akzeptierte schließlich das dortige Geschäftsmodell. Und auch die Industrie- und Handelskammer Stuttgart, die die Raiffeisenbank zu einer Zwangsmitgliedschaft verpflichten wollte, erlitt gegen Vogt eine Schlappe. „Vielen behördlichen Schwachsinn hab ich einfach nicht beachtet. Oft hab ich einfach geschrieben: mangels EDV nicht machbar“, kichert der 80-Jährige. Weil er alte Formulare verwendet hatte und die Briefe der Bafin, ob der Fehler endlich abgestellt sei, einfach nicht beantwortete, strengte die Bankenaufsicht schließlich ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn an. Doch bevor das entschieden war, saß schon Peter Breiter auf dem Stuhl. Auch Angriffen von anderer Seite erwehrte sich Vogt mit Erfolg: Einen Bankräuber schlug er mit einem simulierten Herzinfarkt in die Flucht. Inzwischen aber ist die Bank durch Kameras rund ums Haus gut gesichert.
Jeden Tag kommt Fritz Vogt bei seinem Nachfolger vorbei und hilft hier und da. Nur der Computer ist für ihn tabu. „Der ist mir viel zu nervig – ein Zeitverzögerer und Kostenfaktor“, begründet er seine Ablehnung. Denn auch wenn die Gammesfelder Kontenverwaltung nach wie vor ausschließlich in dem kleinen Schalterraum stattfindet, kann sich das Geldinstitut der für Großbanken entwickelten Bürokratie nun nicht mehr entziehen. Tatsächlich ist Peter Breiters Arbeitstag lang, Zeit für Ehrenämter oder Kühe hat er nicht. Doch seinen Wechsel nach Gammesfeld hat er nie bereut. Auch Fritz Vogt ist hochzufrieden, dass seine Bank weiterlebt: „Meine Lebenserfahrung zeigt: Widerstand lohnt sich.“