Midlife-Crisis in Manhattan

KINO Der französische Regisseur Cédric Klapisch schaut einstigen Erasmus-Studenten beim Älterwerden zu: „Beziehungsweise New York“

Zu allen jenen, die als Erasmus-Studenten Zeit an ausländischen Universitäten verbracht haben, sprach Cédric Klapischs Film „Ein Jahr in Barcelona“ (2002) nicht nur Bände, sondern ganze Bibliotheken. Ja, die „physischen Medien“ spielten damals noch eine Rolle, was man schon an der Menge von Gepäck sehen konnte, mit der Xavier (Romain Duris) in Barcelona ankam. Bereits mit Handy, aber noch ohne Google Maps navigierte er durch die fremde Stadt, während seine Stimme aus dem Off über diesen Moment philosophierte, wo er Dinge als seltsam wahrnimmt, von denen er bereits weiß, dass sie in wenigen Monaten vertraut sein werden.

„Ein Jahr in Barcelona“ bestach mit liebevoll gezeichneten Details, die das Austauschstudenten-Erlebnis, in der Filmgeschichte bislang eher unterbelichtet, so perfekt wiedergaben. Herausragend war dabei die Darstellung der internationalen Wohngemeinschaft, jener „Auberge espagnole“ des Originaltitels, mit ihren Allianzen und Freundschaften, die den größten aller Lernprozesse zeigte: Toleranz zu üben nicht nur für Andersartigkeit, sondern vor allem für die unordentlichen bis unsauberen Gewohnheiten der anderen. Die Rolle von Haaren im Wannenabfluss ist im wahren Leben kaum zu überschätzen.

So nah an eben diesem waren die Figuren, dass eine Fortsetzung logisch erschien. In „L'auberge espagnole – Wiedersehen in St. Petersburg“ brachte Klapisch bereits 2005 die bunte deutsch-englisch-spanisch-französisch-schwedisch-italienische Truppe wieder zusammen. Wo das „Jahr in Barcelona“ vornehmlich den Selbsterforschungen von 20-Jährigen gewidmet war, standen im zweiten Teil die Lebenserfahrung der 30-Jährigen im Zentrum. Und nun gibt es einen dritten Teil: „Beziehungsweise New York“. Die Figuren gehen auf die 40 zu, sie erreichen die komplizierte Schwelle von „immer noch nicht …“ und „längst zu alt für …“.

Die Filmhandlung versucht dem durch entsprechende Verworrenheit gerecht zu werden. In einem Strang verhilft Xavier (Duris) seiner alten Freundin Isabelle (Cécile de France), seinem quasi besten Kumpel, zu einem gemeinsamen Kind mit Lebenspartnerin Ju (Sandrine Holt). Für Xaviers Frau Wendy (Kelly Reilly), mit der er zwei reizende Kinder hat, ist die Samenspendeaktion dann doch zu viel. Sie begegnet bald einem neuen Mann und folgt dem nach New York. Xavier zieht hinterher, weil er seinen Kindern weiter nah sein will. Praktischerweise lebt auch Isabelle mit Frau und Neugeborenem schon dort. Und es dauert nicht lang, bis auch Martine (Audrey Tautou) in New York auftaucht.

Vielleicht liegt es ja daran, dass auch der Zuschauer seit dem „Jahr in Barcelona“ an Frische verloren hat, aber „Beziehungsweise New York“ erscheint leider zum großen Teil wie eine Recyclingaktion. Was die Figuren und ihre Einzelentwicklung anbelangt, stört das weniger. Von ihnen erwartet man Kontinuität: Sicher, Cécile de Frances Lesbenmacho mag ein wenig zu sehr die bloße Inversion des männlichen Vorbilds sein, während Kelly Reillys Wendy zu wenig und Audrey Tautous Martine zu viel Screentime abbekommt. Auch die erzählerischen Gimmicks, die Klapisch dieses Mal verwendet, sind in ihrem Irrlichtern zwischen neuen und alten Techniken noch interessant: Zwar gelingt es auch ihm nicht, Skypen visuell attraktiv zu machen; die alten deutschen Philosophen, von denen sich Xavier Lebenstipps geben lässt, funktionieren mit ihrem „Denken in Pointen“ dagegen ganz gut.

Als geradezu nervig aber erweist sich Klapischs Hang zur szenischen Wiederholung: Wenn er erneut sein ganzes Figurenensemble dazu bringt, aus verschiedenen Ecken der Stadt zu einem Punkt zu rennen, um dort jemanden vor einer Kalamität zu bewahren, scheint das wie Verrat an einem der besten Momente aus „Ein Jahr in Barcelona“. Immerhin bleibt Klapisch seinem Realismus treu, wenn er zeigt, dass auch die größte Weltoffenheit nicht vor der Midlifecrisis bewahrt – und die größte Kontinuität im Leben jene gewisse, verwirrende und inspirierende „Unsauberkeit“ darstellt.

BARBARA SCHWEIZERHOF

■ „Beziehungsweise New York“, Regie: Cédric Klapisch. Mit Romain Duris, Cécile de France u. a. Frankreich 2013, 117 Minuten