: Waffen für den Weltfrieden?
RUSSLAND Ein Pro und Contra zur Frage von Aufrüstung in der taz vom Dienstag hat in der Redaktion wie bei den Lesern Debatten ausgelöst. Kann Rüstung gegen Putin zum Frieden führen? Vier Antworten
Bei dem, was sich seit Wochen in den verschiedenen Landesteilen der Ukraine abspielt, geht es um einen innerukrainischen Konflikt – angeheizt von außerukrainischen Interessen. Die ukrainische Zivilgesellschaft und nationalstaatliche Institutionen – von Verwaltung bis Sicherheitskräften – sind schwach ausgeprägt. Eine Abfolge korrupter Regierungen in Kiew hat dazu beigetragen. Die staatliche Einheit der Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion ist ein Kunstprodukt, dem sich kaum jemand wirklich verpflichtet fühlt. Diese Einheit von westlicher Seite aus zum nötigenfalls sogar militärisch aufrechtzuerhaltenden strategischen Ziel zu erklären wäre ein nahezu absurder Fehler.
Staatliche Einheit kann es geben – mit ausgeprägtem Föderalismus, über dessen Ausgestaltung die Ukrainer selbst zu entscheiden hätten. Die Entscheidungsfreiheit dazu zu garantieren ist ein lohnenswertes Ziel, doch das ist weder mit der Drohung noch dem Einsatz militärischer Mittel zu erreichen.
Ja, um in der Diplomatie Erfolg zu haben, müssen beide Seiten – und das heißt derzeit: EU und USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite als selbst ernannte Sachwalter des einen oder des anderen ukrainischen Bevölkerungsteils – sicherstellen, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Ist die eine Seite, wie auf der Krim unter Beweis gestellt, zum zumindest begrenzten Einsatz militärischer Gewalt bereit und die andere nicht, ergibt sich ein Ungleichgewicht. Muss also „der Westen“ ebendiese Bereitschaft zeigen? Muss er gar Anstrengungen unternehmen, das Russland der 2010er Jahre so totzurüsten wie einst die USA die Sowjetunion der 1980er? Keinesfalls.
Nicht nur, dass es ohnehin eine militärische Überlegenheit der Nato gegenüber Russland um den Faktor 12 gibt, wenn man die Militäretats zugrunde legt. Über eine drastische Erhöhung der Verteidigungshaushalte der Nato würde sich die Rüstungsindustrie freuen, die Sozialsysteme würden kollabieren, die EU-Regierungen weiter an Legitimität verlieren. Ein strategischer Vorteil ist daraus nicht zu ziehen.
Wenn es also darum geht, die Kosten-Nutzen-Rechnung der Gegenseite ins Gegenteil zu verkehren, sind wirtschaftliche Sanktionen effektiver. Auch die haben ihren Preis, der gerade für die europäischen Länder nicht einfach zu schultern ist. Aber sie können unmittelbare Auswirkungen auf genau das haben, was Russlands Präsident Putin derzeit am meisten genießt: seine hohe Popularität.
Wenn es stimmt, dass wir am Ende der alten beziehungsweise am Beginn einer neuen Friedensordnung für Europa stehen, dann ist das Wichtigste: verstehen. Der frühere US-Verteidigungsminister Robert McNamara sagt in dem wunderbaren Dokumentarfilm „The Fog of War“, die USA hätten den Vietnamkrieg vor allem verloren, weil sie den Vietcong niemals verstanden hätten. Ohne Verstehen des Gegners ist kein Krieg zu gewinnen. Der Frieden aber auch nicht. Und um den muss es gehen. Jede andere Vorstellung ist nicht Containment, sondern Irrsinn. BERND PICKERT
Es ist im Westen nichts Neues: Jedes Mal, wenn irgendwo ein Konflikt eskaliert, werden all jene, die zur Zurückhaltung und Mäßigung raten, als naive Deppen denunziert. Das gilt hierzulande umso mehr, wenn „wir“ oder befreundete Staaten involviert sind. Wer gegen den Irakkrieg war, musste sich vorwerfen lassen, geheime Sympathien für Saddam Hussein zu hegen. Wer die segensreiche Wirkung der israelischen Feldzüge gegen Hisbollah und Hamas bezweifelte, geriet in den Verdacht, ein Antisemit zu sein. Und wer jetzt nicht davon überzeugt ist, das kräftiges Säbelrasseln der Nato einen Putin zum Einlenken bringen wird, der gilt als Putin-Versteher. So weit, so öde und altbekannt.
Neu ist aber, wie schnell manche Linke und Liberale heute dieser Propaganda erliegen und bereit sind, einer Militarisierung von Konflikten das Wort zu reden, wenn sie nur ausreichend mit einer der beiden Konfliktparteien sympathisieren. Vom Konflikt selbst muss man dafür gar nicht so viel verstehen: es genügt eine diffuse Solidarität mit einer der beiden Seiten und lautstarke Betroffenheit, wenn diese in die Defensive gerät. Zwar ist es angesichts der Ostblock-Vergangenheit nur verständlich, dass gerade in Osteuropa viele Menschen der Meinung sind, der Westen müsste mehr tun, um das russische Hegemonialstreben in der Region in die Schranken zu weisen. Aber auch die russische Minderheit in der Ukraine hat Grund, sich vor einer weiteren Loslösung ihres Landes vom großen Nachbarn zu fürchten.
Was der Westen genau über die bereits verhängten Sanktionen hinaus tun sollte, darauf gibt es keine Antwort, die nicht unkalkulierbare Risiken bergen würde. Dass militärische Drohgebärden Putin zum Einlenken zwingen, ist längst nicht ausgemacht. Es befördert ganz im Gegenteil die Gefahr, dass es zu ungewollten Kettenreaktionen kommt. Genau so ist Europa einst in den Ersten Weltkrieg geschlittert, aus dieser Erfahrung lernte die erste deutsche Friedensbewegung. Auch deren prominente Vertreter wie Albert Einstein, Carl von Ossietzky oder Berta von Suttner mussten sich einst als humanitätsduselige „Sittlichkeitsfanatiker“ beschimpfen lassen. Heute würde man sie wohl gönnerhaft als „Gutmenschen“ bezeichnen.
Wer aber glaubt, die Rezepte aus dem Kalten Krieg würden heute noch taugen, verweist gerne darauf, schon die Sowjetunion wäre ja am Wettrüsten mit den westlichen Staaten zugrunde gegangen. Das aber ist ein Mythos. Vielmehr waren es die Entspannungspolitik von Willy Brandt und die Verführungskraft von Kapitalismus und Demokratie, die dazu geführt haben, dass die Mauern des Ostblocks zu bröckeln begannen. Oder, mit anderen Worten: „Soft Power“ und Diplomatie. Ein längerer Atem und mehr Selbstbewusstsein, was deren Überlegenheit betrifft, würde den westlichen Staaten gut zu Gesicht stehen. Militärische Muskelspiele dagegen sind ein Zeichen von Schwäche – in Russland wie auch bei uns, im Westen. DANIEL BAX
Am vergangenen Samstag wollte die NPD durch Berlin-Kreuzberg marschieren. 6.000 Demonstranten verhinderten mit Straßenblockaden den Aufmarsch der 100 Neonazis in Berlins multikulturellstem Stadtteil. Indem Antifaschisten Stärke zeigten, blieb der Frieden gewahrt.
Es gibt Situationen, in denen Gewalt am besten dadurch verhindert wird, dass Gewaltbereite gar nicht erst zum Zuge kommen. Das gilt auf der Berliner Straße ebenso wie zwischen Großmächten. Zu Zeiten des Kalten Krieges blieb Europa friedlich, weil die Blöcke sich hochgerüstet gegenüberstanden. Heiße „Stellvertreterkriege“ gab es dort, wo es kein „Gleichgewicht des Schreckens“ gab: in Zentralamerika, im südlichen Afrika, in Indochina. Erst als in Europa die Blockkonfrontation endete, ging auch der Balkan in Flammen auf – weil niemand frühzeitig gegen ethnische Säuberungen einschritt.
Gerade die Balkankriege zeigen: Die meisten Kriege auf der Welt beginnen mit kleinen Vorfällen, die anfangs leicht hätten unterbunden werden können. Was als isolierter Überfall beginnt, kann als Flächenbrand enden, vor allem wenn staatlich ermutigte Gewalttäter sich grenzüberschreitend frei entfalten.
Der Weg der Ukraine in eine solche Richtung ist so gut vorgezeichnet, dass sich jetzt warnende Stimmen regen: bloß keine Androhung militärischer Mittel, um des Friedens willen. Diese Mahnung beruht auf der irrigen und überdies eitlen Annahme, es genüge, selbst friedlich zu sein, damit es auch der andere ist. Doch nicht jeder, der mit der Waffe droht, legt diese Waffe nieder, wenn man selbst keine besitzt: manch einer nutzt die Gelegenheit und drückt einfach ab. Russlands Präsident ist eher in letztere Kategorie einzuordnen. Wie ein Straßenkämpfer, der mutwillig Ärger anzettelt und sein Glück ausreizt, verlangt er von seinem Gegner in erster Linie Respekt – und zollt selbst Respekt nur, wenn sein Gegner genauso auftritt. Nicht von ungefähr kommen Friedensgesten aus Moskau derzeit immer – und nur – dann, wenn die USA wieder einmal ihre Russland-Sanktionen ausweiten.
Wären Ukraine und Georgien gemeinsam mit den baltischen Staaten 2004 in die Nato aufgenommen worden, wären sie heute sicher, so wie es die Balten sind. Die Nato sollte jetzt ihre weitgehend nutzlosen Rüstungsarsenale endlich dort in Stellung bringen, wo sie tatsächlich Schutz bieten könnten, nämlich in Osteuropa. Angesichts eines Gegenübers, das seine Politik mit militärischen Mitteln durchzusetzen bereit ist, kann man nicht aus prinzipiellen Erwägungen auf militärische Mittel verzichten. Der Spruch „Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor“ bleibt aktuell. Leider.
Es geht dabei nicht um Dämonisierung der Russen, sondern um eine angemessene Antwort auf die Destabilisierungspolitik der russischen Regierung. Es geht nicht darum, um die Ukraine Krieg zu führen, sondern darum, durch das Zeigen von Stärke Krieg zu verhindern. So wie am vergangenen Samstag in Berlin-Kreuzberg.
DOMINIC JOHNSON
Krieg in Europa?“, titelt die jüngste Ausgabe des Spiegels und gibt darunter gleich die Antwort: „Der ukrainische Flächenbrand“. Dazu ist ein Vermummter zu sehen, der mit seiner Waffe knapp am Kopf des Lesers vorbeizielt.
Politiker von Union bis zu den Grünen erregen sich darüber, dass ein deutscher Fußballklub einen Besuch bei ihrem Sponsor Wladimir Putin plant. „In der momentanen Lage eine Einladung in den Kreml anzunehmen und sich so instrumentalisieren zu lassen zeugt nicht wirklich von Fingerspitzengefühl“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber.
Derweil versetzt die Bild-Zeitung schon einmal die Antiterrortruppe KSK in Alarmbereitschaft – was die Bundesregierung dementiert – und zitiert den CSU-Politiker Florian Hahn: „Wenn akute Lebensgefahr für die Geiseln bestünde, sollte man über diese Option nachdenken.“
Deutschland, so der gemeinsame Subtext, befindet sich im Vorkriegsstadium. Angst verkauft wieder Nachrichten. Und dazu zählt die Identifikation eines gemeinsamen Feindes: Wladimir Putin und „die Russen“. Es gibt zwar schon lange keinen Kalten Krieg und keine Sowjetunion mehr, doch die Phrasen von einst können wieder recycelt werden. Noch bevor wir über die Ukraine nachdenken, ist das alte Freund-Feind-Denken wiedergeboren. Rationalität ist out, gefragt ist die Furcht vor dem Bösen, diesen maskierten Horden aus dem Osten. So tief sind wir gesunken in gerade einmal ein paar Wochen.
Anlass für diesen zivilisatorischen Rückschritt ist ein russischer Präsident, der es sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, die Einflusszone seine Landes auszudehnen, der dabei in Kauf nimmt, internationale Verträge zu brechen, und auf Diplomatie reagiert wie ein Schwerhöriger auf flüsternde Stimmen – nämlich gar nicht. Das lässt die berechtigte Frage entstehen, wie der Westen mit Putins Expansionsbestrebungen denn nun umgehen soll.
Das weiß ich leider auch nicht. Es ist aber offensichtlich so, dass es dafür kein Patentrezept gibt. Doch es scheint mir, dass es der Demokratie wenig hilfreich ist, Putins Politik einfach nur hinzunehmen, weil sonst die Möglichkeit bestünde, dass die eigene Gasrechnung geringfügig steigt.
Ich bin mir aber sicher: Wer eine rationale Diskussion führen möchte, den behindern Vorurteile. Eine Militarisierung der Sprache aber ist der erste Schritt, um selbstständiges Denken auszuschalten. Die Dämonisierung eines Feindes dient dazu, jegliche Differenzierungen zu verunmöglichen. Die unsinnige Behauptung, es könne zu einem Krieg in Deutschland kommen, schürt die dazugehörige Portion Angst.
Deutschland ist auf dem besten Weg, wieder zum Frontstaat zu werden. Diese Front verläuft in den Köpfen. Sie produziert keine Leichen, sondern Legenden.
Ich empfehle allen Lesern einen Urlaub in St. Petersburg, Moskau oder im ukrainischen Lemberg. Sie werden dort garantiert ganz normale Menschen treffen. KLAUS HILLENBRAND