Die unauslöschliche Schuld

Ein eingestelltes Vergewaltigungs-Verfahren ist kein neuer Skandal: Die „Bild“ hetzt in Bremen gegen den schwulen CDU-Politiker Helmut Pflugradt. Der soll einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Fall Kevin leiten

Die Bremer Bürgerschaft hat gestern im Fall des tot aufgefundenen zweijährigen Kevin K. einen parlamentarischen Untersuchungsausschus eingesetzt. Leiter des Gremiums wird der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Helmut Pflugradt sein. Das war erwartet worden – und ist laut Bild-Zeitung ein Skandal. Ja mehr noch, der Unions-Abgeordnete mit 21 Jahren Parlamentserfahrung ist ein „Skandal-Politiker“.

Der 54-jährige Pflugradt hatte, das entspricht der Wahrheit, als junger Mann Sex mit jungen Männern. Und er stand vor zwölf Jahren einmal unter bösem Verdacht. Und wer verdächtigt wird, ist schuldig – woran weder eine Verfahrenseinstellung noch ein Freispruch etwas ändern kann. Vor allem nicht bei Schwulen. Wahrscheinlich in keinem Unrechtssystem dieser Welt. Auch nicht in der Bild.

Deren gestrige Bremer Skandal-Ausgabe hat deshalb ihr Skandal-Archiv vor den Skandal-Lesern ausgebreitet. Es dokumentiert, wie das Blatt seinerzeit vorverurteilend berichtet hat – und sich auch heute noch der Einsicht der Justizbehörden nicht beugen will: „Das Verfahren gegen den Christdemokraten wurde eingestellt. Ohne diesen Skandal wäre Pflugradt garantiert Senator geworden.“

Ja wie denn nun: War die Einstellung des Verfahrens ein Skandal? Das Ausbleiben der Beförderung? Und warum wird ein zwölf Jahre alter Zeitungs-Skandal plötzlich ein neuer? Verantwortlich für den Skandal-Fund ist Skandal-Redakteur Holger Bloethe: Und wer könnte besser sagen als der Lokalskandal-Redakteur, wo der eigentliche Skandal versteckt liegen könnte?

Problem nur: Skandal-Bloethe will dazu nichts sagen. Oder darf er vielleicht nicht? Skandal! Man müsse diesbezüglich, das ist zu erfahren, über die Skandal-Pressestelle gehen. Die verwaltet die Skandal-Interpretation und die Meinungen der Skandal-Autoren. Was Zeitungs-Skandal-Pressestellen zu sagen haben, interessiert aber niemanden. Pflugradt selbst wollte sich gestern zu der Skandal-Darstellung nicht äußern: „Was soll ich denn dazu sagen“, sagte der Unions-Politiker am Rande der Bürgerschaftssitzung. So etwas kommentiere er nicht.

Verständlich. Ist auch nicht nötig. Schließlich hatte der Landtag über ihn zu befinden. Der Kommentar des Plenums zur Personalie Pflugradt war eindeutig: Widerstand gegen seine Berufung zum Ausschuss-Vorsitzenden wurde gestern nicht registriert. Die Wahl erfolgte einstimmig. BENNO SCHIRRMEISTER