HSV auch mit Heilsbringer hoffnungslos

Nach dem 1:3 gegen Porto und dem Europacup-Aus kündigt selbst ihr Trainer den Hamburger Profis die Solidarität auf

HAMBURG taz ■ Die Arbeit war getan und Thomas Doll stürmte davon wie ein waidwunder Büffel. Nur kurz ließ er sich stoppen von zwei Frauen, die ihn drückten, wie man es auf Beerdigungen tut. Der HSV-Trainer hatte noch nie einen Zweifel an der Arbeitsaufsassung seiner Schützlinge gelassen. Bis zu diesem Mittwochabend: Nach dem blutleeren 1:3 gegen den FC Porto hat Doll seiner Mannschaft die Solidarität aufgekündigt.

„Jeder hat gesehen, dass das für die Champions League zu wenig ist – und zwar nicht nur heute“, begann er seine Manöverkritik schonungslos. Was dann folgte, waren nicht mehr Erklärungen und aufmunternde Worte, sondern schwere Vorwürfe: „Wenn wir erst ab der 44. Minute richtig hingehen, wird der Gegner immer sicherer und wir laufen der Musik hinterher.“ In jener ominösen 44. Minute hatte Joris Mathijsen – immerhin holländischer Nationalverteidiger – eine Flanke genau auf den Schlappen von Lucho González abgewehrt, der die Gäste aus Portugal mit einem Volleyschuss in Führung brachte.

„Wir fangen an, Fußball zu spielen, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen“, klagte Doll. Das ist eigentlich erreicht, wenn man im vierten Champions-League-Spiel punktlos mit 0:1 zurückliegt. Aber den HSV-Spielern schien die Wand offensichtlich noch zu weit entfernt. Man hatte den Eindruck, sie wollten den Beweis antreten, dass auch bei 3 Grad lockerer Trab ausreicht, um nicht zu erfrieren. Erst als Lisandro López HSV-Verteidiger Timothee Atouba wie einen Anfänger stehen ließ und das 0:2 erzielte, schien so etwas wie Wut aufzukommen. Rafael van der Vaart, der sich kurz zuvor noch mit einem rüden Foul am Rande der Roten Karte in Stimmung gebracht hatte, köpfte postwendend das 1:2. Aber in Hamburg haben sich alle zu lange auf den genesenen Holländer als Heilsbringer verlassen. Allein gelang es auch ihm nicht, die Kollegen länger als 10 Minuten zu so etwas wie einer Gegenoffensive anzutreiben. Damit ist das Team noch weit weg vom Planziel des Trainers. Der sagte zu den Pfiffen des Publikums, die in Hamburg mittlerweile an der Tagesordnung sind: „Die Zuschauer können verlangen, dass wir 90 Minuten den Platz umpflügen und alles geben. Ich glaube nicht, dass das alle von sich sagen können.“

Wann denn, wenn nicht in der Champions League? Da kommt wieder der alte Doll hervor: Der Charakter der „Jungs“ stimme, behauptet er beharrlich. Den Beweis sind sie bislang schuldig geblieben. Und zur Zukunft fallen auch Doll nur noch Floskeln ein: „Jeder muss ein paar Prozent mehr rauskitzeln“. Was soll er auch tun? Er müsste die halbe Mannschaft auf die Bank setzen. Und selbst, wenn er nur ein Exempel statuieren wollte, würde er damit noch mehr Unruhe in ein Team bringen, dem es nach sieben Platzverweisen an Kontinuität mangelt.

Doll hätte gute Gründe, einfach hinzuschmeißen. Präsident Bernd Hoffmann und Sportchef Dietmar Beiersdorfer werden ihn jedenfalls nicht feuern. Auch weil sie wissen, dass sie gehörige Mitschuld an der Misere des Bundesliga-Viertletzten tragen: Das von Doll mit bescheidenen Mitteln geformte Spitzenteam der Vorsaison haben sie zerschlagen, angeblich im Dienste einer mittelfristigen Etablierung an der europäischen Spitze. Nun hat der HSV am Mittwoch sogar den dritten Gruppenplatz verspielt, der zum Mitwirken im Uefa-Cup berechtigt hätte. Dabei wäre gerade der eine prima Weiterbildungsmaßnahme gewesen. JAN KAHLCKE