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Archiv-Artikel

Im Rausch des Reformierens

Die Deutsche Eischnelllauf-Gemeinschaft wollte mit einer „Strukturverschlankung“ den Nachwuchs stärken und die Erfolge weiterschreiben. Stattdessen löst man direkt vor den Deutschen Meisterschaften in Erfurt ein neues Kapitel im Zickenzoff aus

AUS ERFURT MARKUS VÖLKER

Es ist zur schönen Tradition geworden, dass man sich zu Beginn der Schnelllaufsaison eisige Grüße übermittelt. Anni Friesinger, Claudia Pechstein und Gunda Niemann-Stirnemann befehdeten sich, dass es eine Art hatte. Auch jetzt wird in der deutschen Eislaufelite wieder gestritten, aber diesmal muss selbst der Verband, die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), kräftig einstecken. Dabei hat sie es doch gut gemeint mit ihrer Reform, die sie im Sommer beschlossen hat und die Sportart umkrempeln soll. Mit blumigen Worten wurde der Wandel damals verkündet. „Wir gehen schon einige Zeit intensiv damit schwanger, und das Kind heißt effektive Strukturverschlankung, ich bin überzeugt, dass es gesund und kräftig wird“, hatte DESG-Sportdirektor Günter Schumacher im ersten Rausch des Reformierens gesagt. Doch nun, vier Monate nach der Niederkunft, gibt es Probleme mit dem Kindchen. Pechstein schimpft, Friesinger wettert. Und die Dritte im Bunde, die Erfurterin Daniela Anschütz-Thoms, ist beleidigt.

Was hat die DESG angestellt? Der Verband hat umgeschaltet von Föderalismus auf Zentralismus. Die Bundesstützpunkte, vor allem Erfurt, Inzell und Grefrath, wurden ein wenig entmachtet. Das Vakuum füllen jetzt je ein Bundestrainer für Frauen und Männer: Markus Eicher, einst Begleiter von Friesinger, und der Holländer Bart Schouten. „Lieb gewonnene Kinder“ ließ man im Zuge der Reform ziehen, erklärte Schumacher gestern in Erfurt, wo heute die Deutsche Meisterschaft beginnen.

Bisher hatten die Stützpunkttrainer das Sagen. Nun sind es die beiden Bundestrainer. Schouten zieht in Berlin-Hohenschönhausen die männliche Elite zusammen, zu der auch der holländischen Olympiasieger Bob de Jong gehört. Der Neue genießt einen exzellenten Ruf in der Szene, nicht erst seit seinen Erfolgen mit den US-Amerikanern Derek Parra und Chad Hedrick. Schouten hatte keine Probleme, die lernwilligen Deutschen zusammenzuziehen, auch nicht den Inzeller Jan Friesinger.

Bei den Frauen sieht’s anders aus. Von jeher zerstritten, haben sich die Topläuferinnen auch diesmal nicht zusammenraufen können. Friesinger und Pechstein hatten sich bereits in der ersten Reformphase Extras ausbedungen. Sie dürfen nach Gutdünken aus dem neuen System ausscheren. Pechstein trainiert weiterhin mit ihrem langjährigen Coach Joachim Franke, und um das plötzliche Männerdefizit zu beheben, hat sie sich in Robert Kustra aus Polen und dem Russen Juri Kochanetz schnelle Windschattenspender organisiert. Das Geheimnis der Erfolge deutscher Kufenflitzerinnen lag ja auch darin begründet, dass sie immer mit Männern trainierten und diese als willige Domestiken gebrauchten.

Anni Friesinger ist in die Niederlande gegangen. Dort trainiert sie bei Gianni Romme unter Profibedingungen – und unter Männern. Die Trennung von Eicher hat sie in Kauf genommen, um „neue Reize“ zu setzen. Die Verliererin ist derweil Anschütz-Thoms, weil ein Wechsel nach Berlin in die Franke-Gruppe an alten Vorbehalten scheiterte und in Erfurt keine schnellen Männer mehr zu finden sind. Sie hatte ihren Unmut zuerst geäußert, Friesinger und Pechstein zogen im Vorfeld der Meisterschaften nach. „Dass plötzlich nur noch die Frauen untereinander trainieren sollen, das verstehe, wer will“, echauffierte sich Pechstein. Aus unerfindlichen Gründen sah sich auch Friesinger übervorteilt und drohte mit einem Boykott der Teamrennen. „Von der Reform profitiert vor allem der Nachwuchs“, glaubt Friesinger. Das sei schön und gut, „aber man darf die Spitze nicht vergessen“.

Es wird also auch in diesem Winter verlässlich an der Zickenzoff-Soap geschrieben, was Sportdirektor Schumacher nicht so recht verstehen kann. Im Hinblick auf Olympia 2010 in Vancouver habe man reformieren müssen, insistiert er. „Wir brauchen eine straffe Führung, bleiben aber locker im Detail, und wir müssen mehr denn je zur Einheit werden“, deklamierte er. „Und jeder, der einen Schmerz hat, kann uns anrufen, dem helfen wir.“ Es ist kaum damit zu rechnen, dass sich Pechstein, Friesinger und Anschütz-Thoms bei der DESG-Telefonseelsorge melden. Das wäre auch sinnlos, denn das Reformwerk steht fest. „Eine Meinung kann jeder haben, aber deswegen werden wir unsere Strukturen nicht neu ausrichten“, stellte DESG-Präsident Gerd Heinze klar.