: Die politische Botschaft ist gleich null
18-Uhr-Demo am 1. Mai
Die größte Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration seit 20 Jahren – da rieben sich selbst die Veranstalter die Augen. Schließlich galt die Demo, bei der linke Gruppen traditionell am 1. Mai durch Kreuzberg zogen, zwischenzeitlich schon als Auslaufmodell. Nun melden Polizei und Veranstalter gleichermaßen stolz Teilnehmerrekord, alle sind zufrieden: die Veranstalter, weil sie trotz geringer Mobilisierung so viele Menschen bewegt haben, und die Polizei, weil es trotz allem weitgehend friedlich blieb.
In der allgemeinen Zufriedenheit geht allerdings unter, dass die hohen Teilnehmerzahlen zwar zeigen, dass es wieder eine größere Bereitschaft zum Demonstrieren gibt, Protest allerdings kein Selbstzweck ist. Die politische Botschaft der Revolutionären Maidemo – und damit ihre Relevanz – ist gleich null. Die Medien ergehen sich im Vorfeld in Spekulationen darüber, wieviel Gewalt es geben wird. Wofür die 20.000 Demonstrierenden jetzt eigentlich auf die Straße gegangen sind, ist leider auch hinterher wenig bekannt.
Dabei gibt es genug Ansätze, am immer prekärer werdenden Alltag der neoliberalen Großstadt anzuknüpfen: steigende Mieten, Zwangsräumungen, die Diskussion um Freiräume, wie etwa um das Tempelhofer Feld– doch konkrete Forderungen auf den 1. Mai zu tragen, ist nicht gelungen.
Auch die heftigen Reaktionen von Polizei und Politik auf die Bloccupy-Proteste in Frankfurt in den letzten Jahren haben gezeigt, dass man dort durchaus den Kern einer politischen Frage getroffen hat. Die freundliche Entspanntheit, mit der der Staat mit den Kreuzberger Protesten inzwischen umgeht, zeigt eine klügere Taktik – aber auch, dass die Proteste dort inzwischen ebenso berechenbar wie ungefährlich sind.
Vielleicht auch, weil die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration nur noch ein Ritual ist. Die Stadt verändert sich, vielleicht wird es Zeit, auch die Protestformen mal wieder zu verändern: neuer Ort, neues Konzept, neue Akteure mit neuen Forderungen. Ohne den Willen, zu überraschen, lassen sich auch keine Veränderungen anstoßen. JULIANE SCHUMACHER