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Archiv-Artikel

DIE EINE FRAGE Grüne in der 2. Liga

SC Freiburg: Warum waren Sie nicht emotional, Christian Streich?

Christian Streich schaute nach links, dann nach vorn, dann schüttelte er den Kopf und lächelte dabei traurig wie ein Eskimo, den man fragt, warum er sich nicht von Pflanzen ernährt. „Ich weiß nimmer, was ich auf diese Frage antworten soll“, sagte der Trainer des Fußballbundesligisten SC Freiburg mit seiner leisen, jetzt fast wehleidig klingenden Stimme.

Die eine Frage bei der Pressekonferenz nach einem Bundesligaspiel des vergangenen Samstags hatte wie folgt gelautet: Warum waren Sie heute nicht so emotional, Herr Streich? Wie sonst immer, sollte das heißen. Worauf wir das immer schön kritisieren können, dass sie so emotional sind.

Einige Zeit galt Streich, 48, als genauso sympathisch authentisch wie sein Dortmunder Kollege Jürgen Klopp. Am Ende dieser Saison gelten beide ob ihrer Emotionalität am Spielfeldrand auch als bedenklich bekloppt. Streich bewege sich „an der Grenze zwischen Kulttrainer und unkontrollierbarem Derwisch“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die Pädagogiklektion endet stets mit der Erkenntnis, dass diese Trainer sich gefälligst „normal“ benehmen sollten, dann wären sie noch besser.

Ach? Zum einen wird im Showbusiness Fußball zu Unterhaltungszwecken jeder Satz aufgebläht. Zum anderen ist der Fußball auch dafür da, dass die Leute sich richtig schön auf- und dann auch wieder abregen. Was aber am wichtigsten ist: Die Trainer Streich, Klopp oder Thomas Tuchel sind genau deshalb so gut und erfolgreich, weil sie 24 Stunden am Tag an Fußball denken, an ihre Mannschaft, an den nächsten Gegner, an neue Lösungen für Probleme – und weil sie darüber manchmal fast überschnappen. Der Druck wird in dem Moment unerträglich, wenn sie alles geplant zu haben glauben und ihnen dann irgend so ein Schiedsrichter in die Quere kommt.

Sicher gibt es auch Trainer, die sich den Stress reinfressen. Aber das ändert nichts daran: Wäre Streich nicht besessen von der Sache, wäre er kein Trainer, der den strukturell benachteiligten SC Freiburg im dritten Jahr in der Bundesliga gehalten hat.

Und damit sind wir beim bisher übersehenen politischen Faktor dieser Debatte. Das ist der Merkelismus, ein fieser Virus, der große Teile dieser Gesellschaft ergriffen hat – und übrigens auch die grüne Partei. Alles soll möglichst ruhig ablaufen, und daher dürfen auf keinen Fall Ideen oder Konfliktlinien sichtbar werden. Man feiert den zivilisatorischen Fortschritt nach dem Abgang der angeblichen „Machos“ in der Politik (Fischer, Schlauch, Cohn-Bendit) – und ignoriert völlig, dass man in Wahrheit das Emphatische, das Pathetische und die bedingungslose, von Kompetenz getragene Begeisterung für eine Sache geächtet hat. Merkelismus oder – wie es bei den Grünen heißt – auch Göring-Eckardtismus bedeutet: Wer nicht sanftmütig blickend, gut vernetzt und am besten inhaltsfrei im Stillen vor sich hin taktiert, gilt als verdächtig und nicht zukunftstauglich.

In der willentlich geistig zurückgebliebenen Gesellschaft werden fanatisch Stildiskussionen geführt, um komplizierte Zukunftsfragen vermeiden zu können. Schön und gut, dass Klopp und Streich den modernen Fußball neu definiert haben – aber so maskulin-archaisch geht das hier einfach nicht. Doch es gibt nicht das eine ohne das andere: Wer wirklich liebt, den treiben auch negative Gefühle intensiv um. Wer wirklich für seine Partei oder seinen Verein brennt, dessen Feuer muss man ab und zu halt auch mal löschen. Wer wirklich eine Idee hat oder Persönlichkeit, wird damit anecken.

Mit Christian Streich wären die Grünen jedenfalls nicht in die 2. Liga abgestiegen.

Peter Unfried ist taz-Chefreporter