: „Hubschrauber, überall Hubschrauber“
UKRAINE Armee und Nationalgarde greifen das von Aufständischen kontrollierte Slawjansk im Osten des Landes an. Eine Augenzeugin berichtet von Schüssen auf Zivilisten. Die Angst vor einem Bürgerkrieg wächst
AUS DONEZK BERNHARD CLASEN
In der Ukraine haben die Streitkräfte der Regierung am Freitag Slawjansk, die Hochburg der bewaffneten prorussischen Aufständischen im Osten des Landes, angegriffen. „Um 5 Uhr morgens waren überall Hubschrauber“, berichtet Stadtbewohnerin Vera, die für die Sozialisten im Rat der Stadt sitzt, der taz. „Angeblich sollen es 20 Hubschrauber gewesen sein. Aber es waren sicherlich mehr. So viele, dass ich sie nicht habe zählen können. Ich habe gesehen, wie einer abgestürzt ist.“
Die Äußerung der oppositionellen Lokalpolitikerin deckt sich im Wesentlichen mit den Angaben des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow in Kiew. Der hatte verkündet, dass die „antiterroristische Operation“ von Armee, Nationalgarde und Kräften des Innenministeriums gegen die Besetzer öffentlicher Gebäude in Slawjansk um 4.30 Uhr begonnen habe. „Die Stadt ist eingekesselt“, erklärte Awakow am Mittag. Die Operation laufe nach Plan.
Allerdings wurden drei Hubschrauber mit Raketen abgeschossen. Sie waren sehr niedrig geflogen, berichtet die Oppositionspolitikerin Vera. Die Sirenen und der Lärm der Hubschrauber hätten unter der Bevölkerung Panik ausgelöst. Fallschirmjäger seien unter dem Feuerschutz der Hubschrauber zu den besetzten Gebäuden vorgedrungen. Einige von ihnen seien in ziviler Kleidung abgesprungen.
Wenig später, so berichten übereinstimmend Quellen der Separatisten und der Innenminister, seien neun Checkpoints der Aufständischen von den Regierungseinheiten vernichtet, die Bewaffneten dort verhaftet oder in die Flucht geschlagen worden.
Laut der Augenzeugin Vera wurde aus den Hubschraubern auch auf die Zivilbevölkerung geschossen. Der Innenminister hingegen erklärte, die Aufständischen beschössen die Sicherheitskräfte von Wohnhäusern aus, weil sie wüssten, dass man dorthin nicht zurückschieße. Die Sicherheitskräfte konnten die Besetzer aus dem Fernsehzentrum von Slawjansk vertreiben. Bis zum Nachmittag waren nach übereinstimmenden Angaben beider Seiten zwei Hubschrauberpiloten und ein Aufständischer ums Leben gekommen. Ein dritter Pilot wurde beim Absturz seiner Maschine schwer verletzt und anschließend gefangen genommen.
Am Nachmittag hielten Dutzende Menschen als ein lebender Schutzschild die Regierungstruppen von einem weiteren Vordringen in die Stadt ab. Gleichzeitig wurden zahlreiche Namens- und Straßenschilder demontiert.
Der prominenteste Präsidentschaftskandidat der ukrainischen Wahlen am 25. Mai, Petro Poroschenko, unterstütze die Attacke. Endlich habe sich der Staat dazu durchgerungen, mit den Terroristen in der Sprache der Gewalt zu sprechen, so Poroschenko. Auch Kiewer Maidan-Aktivisten unterstützten das Vorgehen der Regierung, wenngleich weniger selbstsicher. Die Aktion sei schon richtig gewesen, sagt Taras, einer der Maidan-Aktivisten der ersten Stunde. Andererseits könne das aber auch der Beginn eines Bürgerkrieges sein.
Unter der Bevölkerung der Nachbarstädte von Slawjansk geht indessen die Angst um, dass der Krieg auch sie erreicht. Frauen müssten ihre Männer in den Kampf schicken, weinende Kinder verabschiedeten sich von ihren Vätern, so eine Einwohnerin einer Nachbarstadt telefonisch.
Gegen Abend schien sich die Lage in Slawjansk etwas zu beruhigen. Man habe Slawjansk „praktisch von den Terroristen gesäubert“, erklärte der Kommandeur der Nationalgarde. Doch nach der Offensive ist nichts mehr so wie zuvor. Uniformierte und bewaffnete Freiwillige auf der Krim kündigten bereits an, sie würden sich auf den Weg in die Ostukraine machen, um ihre „slawischen Brüder“ zu unterstützen.
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