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Archiv-Artikel

„Man muss nicht alles aushalten“

Der Psychologe und Familientherapeut Jan Bleckwedel arbeitet als Supervisor mit Sozialarbeiterinnen in der Kinder- und Jugendhilfe. Deren Arbeitsbedingungen seien mittlerweile so schlecht, dass viele ans Aufgeben denken

Herr Bleckwedel, ein Großteil Ihrer Klienten arbeitet im Kinder- und Jugendhilfebereich. Gibt es Probleme, die in der Supervision immer wieder angesprochen werden?

Jan Bleckwedel, Supervisor: Die sind so vielfältig wie in anderen Berufen auch. Viele KollegInnen arbeiten dort, wo die Lebensverhältnisse prekär und stark eingeschränkt sind. Das sind überwiegend Leute, die ihren Job mit bewundernswertem Engagement machen. In den letzten Jahren kommen die aber verstärkt mit der Frage in die Supervision, wie sie ihre Arbeit unter stark verschlechterten Rahmenbedingungen noch so gut machen können wie früher.

Über welche Umstände klagen Ihre Klienten?

Wachsende Bürokratie, die Verdichtung der Arbeit. Jemand in der Sozialpädagogischen Familienhilfe hat früher vielleicht drei Familien betreut, jetzt bis zu acht. Gleichzeitig wächst der Problemdruck bei den Familien, die Fälle werden komplexer und schwieriger. Die KollegInnen laufen Gefahr auszubrennen und krank zu werden. Einige überlegen, den Job hin zu werfen und das sind oft die Besten.

Warum ausgerechnet die?

Wer engagiert ist, den schmerzt es besonders, wenn man vor Ort sieht, was notwendig und auch möglich wäre und dann die Mittel nicht bewilligt bekommt. Soziale Arbeit ist immer Beziehungsarbeit, wenn man das auf reine Sozialtechnologie reduziert, raubt das den Leuten ihre berufliche Identität und der Arbeit die Seele.

Sozialtechnologie?

In Multiproblemfamilien geht es oft einfach um Kontakt und um eine kontinuierliche Präsenz über eine längere Zeit. Da ist es mit einer Krisenintervention allein nicht getan. Auch Kontrollbesuche dreimal die Woche reichen nicht aus.

Kann Supervision unter solchen Umständen überhaupt noch mehr sein als eine Reparaturwerkstatt, die fit macht für den nächsten Monat?

Wenn es nur das wäre, wäre es keine gute Supervision. Supervision ist in erster Linie ein Ort der freien Reflexion, ohne Tabus und in zweiter Linie ein Instrument zur Sicherung und Entwicklung von Qualität. In der Fallarbeit geht es immer wieder darum, komplexe Situationen zu klären und zu verstehen, Veränderungen zu motivieren und Ressourcen zu aktivieren. Supervision soll Beziehungsarbeiter in die Lage versetzen, sich selbst und ihre Umgebung aktiv zu gestalten. Dazu gehören Fallarbeit, Zusammenarbeit im Team, aber auch die berufliche Entwicklung und eine persönliche aktive Gesundheitsvorsorge. Nur wer für das eigene Wohl sorgen kann, kann auch für seine Klienten sorgen. Dabei geht auch um Grenzen und eine innere Distanz.

Aber ist das nicht eine Bankrotterklärung, wenn man sich in einem Beruf, der Beziehungsarbeit fordert, wie Sie sagen, distanzieren muss?

Es geht um die passende Balance zwischen Engagement und Gelassenheit. Wenn sich nur die Distanz vergrößert, jemand gar zynisch wird, dann kann man die Arbeit nicht mehr gut machen. Es ist auch eine Aufgabe der Supervision auf Bedingungen hinzuweisen, die nicht mehr tragbar sind, wo es nicht mehr möglich ist, qualitativ gute Arbeit zu machen und fachliche Standards nicht mehr eingehalten werden können.

Denken Sie an konkrete Bedingungen?

Ja, zum Beispiel an die neuen Vorgaben des Jugendamtes. Die können dazu führen, dass eine von einem freien Träger empfohlene Fremdplatzierung nicht genehmigt wird und der nächste Träger damit beauftragt wird, es noch einmal mit ambulanten Maßnahmen zu versuchen – wohl wissend, dass dies nichts helfen wird. In diesem System wird richtig Geld verbrannt.

Das System der Jugendhilfe soll ja verändert werden. Wo sollte man ansetzen ?

Bei der Diagnostik, Interventionsplanung und dem Auftragsmanagement müsste man meiner Ansicht nach ansetzen, um sehr hohe Reibungsverluste und enorme gesellschaftliche Folgekosten zu vermeiden. Damit könnte man viel sparen, weil Aufträge für überflüssige oder sinnlose Maßnahmen entfallen. Aber wie in jedem Unternehmen musste man hier erst bereit sein, zu investieren. Auch das Fallmanagement in seiner jetzigen Form produziert durch eine Unmenge von Kommunikationsschnittstellen enorme Kosten und senkt die Produktivität. Entscheidend ist aber, dass eine realistische Vision entwickelt wird, die Standards wahrt, und eine Strategie, die die vorhandenen Mittel optimal nutzt und einsetzt. Fragen: Eiken Bruhn