Was übrig bleibt

Das Einfache, das schwer zu machen ist: „Some Beans & An Octopus“, die neue CD des britischen Musikers Vert

Berufskollegen möchte Adam Butler gern einen Rat mit auf den Weg geben: Steckt die Kreativität in einer Sackgasse, hilft es bisweilen, Einbrecher zu engagieren. Vor zweieinhalb Jahren jedenfalls stieg ein Räuber in sein Studio ein. „Alle Computer, alle Backups, alle Samples, die ganze Sound-Bibliothek“, erzählt er, „alles war weg.“ Was blieb, war „eine Denkpause“ – und die Liebe zum Klavier.

„Some Beans & An Octupus“, das neue Album unter seinem Pseudonym Vert, hätte ohne das Pech mit dem Diebstahl „definitiv anders geklungen“, sagt der seit 2001 in Köln lebende Brite beim Interviewtermin. Tatsächlich ist das Album der ziemlich einmalige Versuch, Elektronica mit Tom Waits oder Ragtime mit HipHop zu verschmelzen. Ein Versuch, der, so verwunderlich das klingen mag, auch noch gelungen ist, weil Butler – im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen – gelernt hat, dass „die Computer und Sampler heute nur mehr eine zusätzliche Technik“ geworden sind. Der „Fetisch Elektronik“ aber hat ausgedient.

Dazu musste der Tüftler Vert, der Abschlüsse in Philosophie und Informatik vorweisen kann und dessen Broken Beats vormals mitunter zum Akademischen neigten, erst wieder entdecken, dass er eigentlich einmal Musiker war. Schließlich hatte er als Gitarrist in Noise-Rock- und Indie-Bands angefangen. Im Jahre 1993, erinnert er sich, führte die Einnahme von Acid zu „einer Vision“. Mit Folgen: Butler tauschte im Pfandhaus seine Gitarre eilig gegen einen Sampler ein und wurde dabei auch noch „übers Ohr gehauen“. Ungefähr zur gleichen Zeit untersagte der Arzt dem leidenschaftlichen Skater, sich die Knochen beim Üben von Tricks weiter zu ruinieren. Plötzlich stand einer Karriere als Studio-Bastler nichts mehr im Wege – bis zu eben jenem richtungsweisenden Einbruch.

Trotz der unfreiwilligen Initialzündung war es ein „langsamer, quälender Prozess“, bis „Some Beans & An Octopus“ entstehen konnte. Mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten, das musste der nun 34-Jährige ebenso erst wieder lernen wie die vergrabenen Fähigkeiten aus dem Klavierunterricht der Kindheit zu reaktivieren und – nicht zuletzt – zu singen. Die ungewohnte Intimität der eigenen Stimme zu akzeptieren, das war für einen, der seine Musik bislang weitgehend am Rechner entworfen hatte, nicht leicht. Ähnlich verhielt es sich mit dem Texten, auch wenn der Thomas-Pynchon-Fan Butler Zeit seines Lebens „eigentlich immer lieber Schriftsteller als Musiker“ werden wollte. Damit erklärt sich auch, warum Seiten aus „Gravity’s Rainbow“ als grafisches Element für das Cover des Albums verwendet werden.

Heute fragt sich Butler, „warum ich nicht schon immer gesungen habe, so natürlich fühlt es sich an“, zudem ist er zu der Erkenntnis gelangt, dass „gute Popmusik schwerer zu machen ist als experimentelle Musik“. Noch schwieriger ist es womöglich, einen gesunden Konsens zwischen diesen beiden Pole zu finden. Aber Vert war erfolgreich: „Some Beans & An Octupus“ ist eine wundervolle Platte, so schräg wie melodiös, so fantasievoll wie klischeereich, voller unerhörter Geräusche und eingängiger Momente. Es ist genau die richtige Platte dieser Tage, zumal wir „an dem Punkt angekommen sind, dass Elektronik allein nicht mehr interessant genug ist“.

THOMAS WINKLER

Vert: „Some Beans & An Octopus“ (Sonig/Rough Trade)