: Da bin ich
WELTKINO Eine Fundgrube für das Nachdenken über Kino sind die „Korrespondenzen – Sechs filmische Briefwechsel“ im Arsenal
VON BERT REBHANDL
Wenn Jonas Mekas spricht, dann klingt das, als würde ein Hohepriester des Kinos eine Litanei vortragen. Er hebt fast mit jeder zweiten Silbe neu an, alles wird durch seinen Tonfall in die Höhe gehoben, selbst eine ganz einfache Anweisung an einen Taxifahrer: „We cross Washington Bridge, on Myrtle we go left, on Washington Avenue right, and there I am.“ Da bin ich.
Das ist es auch, was ein Brief sagt: eine Nachricht, mit der sich jemand für jemand anderen in Abwesenheit gegenwärtig macht. Briefe schreibt kaum mehr jemand, E-Mails bestehen aus seltsamen Buchstabenkombinationen, in den Apps nimmt das „Hier bin ich“ sowieso ganz neue Gestalt an. Was aber, wenn jemand einen Brief mit der Kamera schreiben würde?
Dieser Idee geht die Reihe Korrespondenzen nach, die sechs filmische Briefwechsel versammelt und ab Donnerstag im Arsenal gezeigt wird. Die Teilnehmer sind hochkarätige Vertreter des internationalen Festivalkinos.
Weil die Initiative in Barcelona ihren Ausgang nahm, steht auf einer Seite jeweils ein spanischer oder lateinamerikanischer Filmemacher. Jonas Mekas etwas wurde mit dem Katalanen José Luis Guerín zusammengespannt, der zur Eröffnung der Reihe am 8. Mai auch in Berlin erwartet wird. Guerín geht mit seinem ersten Brief von einem Wort von Mekas aus, das er einmal aufgeschnappt hatte: „I react to life“. Das tut Mekas tatsächlich, und auch Guerín tut es.
Ein Leben als Gast
In der Zeit, in der seine Filmbriefe entstanden, drehte er einen Film namens „Guest“, in dem er davon erzählte, zwei Jahre lang unentwegt als Gast unterwegs zu sein, eingeladen zu Veranstaltungen aller Art, niemals frei, das zu tun, was er wollte, jederzeit in der Lage, einen Wunsch äußern zu dürfen, zum Beispiel einen Ausflug zu dem See zu machen, an dem Henry David Thoreaus „Walden“ entstand. Mekas hingegen erzählt von seinem letzten Film, den er gerade macht. Der soll einfach „Footage“ heißen und nur Outtakes, also Filmreste, enthalten.
Gerade in dem Moment, in dem das Zusammenspiel der beiden in den Rhythmus kommt, taucht bei Guerín ein Motiv auf, das den Briefwechsel fast zum Stillstand bringt, so traurig ist es: Auf seinen Reisen traf Guerín auch auf Nika Bohinc, eine slowenische Filmkritikerin und Intellektuelle, die großen Eindruck auf ihn machte und die später gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Alexis Tioseco in dessen Heimatstadt Manila einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Gueríns Aufnahme von Bohinc, die eigentlich mit ihm ein Interview drehen wollte, sind einer der großen Momente in diesen Korrespondenzen.
Ein anderer Blick auf das spanische Kino
Einer der Vorzüge dieser Reihe ist, dass man das spanische Kino noch einmal ein bisschen neu betrachten lernt. Zwar sind mit Albert Serra und Guerín auch die beiden derzeit bekanntesten Namen vertreten, aber Iaski Lacuesta (mit Naomi Kawase) oder Jaime Rosales (mit dem chinesischen Dokumentarepiker Wang Bing) sind vielleicht nicht ganz so allgemein vertraut. Und dann ist da noch die Korrespondenz, die vorab nicht zu sehen war und auf die man besonders gespannt sein darf: Der spanische Altmeister Victor Erice („Der Geist des Bienenstocks“, 1973) tauscht sich mit Abbas Kiarostami aus.
Eine besonders kongeniale Paarung stellen wohl auch die Regisseure Albert Serra und sein argentinischer Partner Lisandro Alonso dar. Während Guerín und Mekas sich die Briefe zuspielen, jeweils kürzere Beiträge machen, auf die der andere antworten kann, hat Serra einfach einen Film gemacht und Alonso einen kürzeren als eine Art Antwort, eine Postkarte. Serras Arbeit „Der Herr wirkte Wunder an mir“ ist so etwas wie ein Making-of eines Films, den es so nie gab oder geben wird. Oder an dem Serra ständig weiterdreht, wenn man seine Filme „Honor de cavallería“ oder seine großartige Casanova-trifft-Dracula-Mythenklitterung „Geschichte meines eigenen Todes“ einfach als langes Gesamtkunstwerk in progress sehen möchte.
Wie man in einem mäandernden Dialog von Scott McKenzie und dem „Summer of Love“ zu einem Stier kommt, der den drogensüchtigen Torero Manolete aufspießt, sieht man in Serras vertracktem Nonsensfilm. Alonso antwortete darauf mit einer kurzen, beziehungsreichen Geschichte über Hunde im Unterholz, über die Schwierigkeiten während der Kolonisierung Lateinamerikas und über die Tätigkeit eines Filmemachers, der in die Natur die Schützengräben der Beobachtung zieht.
Was die Selbstreflexion des Kinos anlangt, sind diese Korrespondenzen eine Fundgrube par excellence. Vor allem aber sind sie ein Dokument der unerhörten Intelligenz, die dieser im Alltag immer wieder so triviale Betrieb hervorbringt und unterhält, den wir Weltkino nennen.
■ Korrespondenzen – Sechs filmische Briefwechsel: ab 8. Mai im Arsenal-Kino, mehr zum Programm unter www.arsenal-berlin.de