: Bachelor macht dumm
Studierende, boykottiert den Studienschnellabschluss Bachelor! Er unterfordert euch, er lässt eure Potenziale unausgeschöpft und führt zur Zerstörung des tertiären Bildungssektors. Ein Aufschrei
VON PETER GROTTIAN UND WOLF-DIETER NARR
Kaum sind die ersten Semesterwochen vergangen, beobachtet man schlaffe Gänge. Mehltau hat alle Gedanken- und Verhaltensglieder überzogen. Wir beobachten die Studierenden an den Trimm-dich-Stangen der Modulstrukturen. Sie werden häppchen- und punktesystematisch gehetzt. Ihnen fehlt die Zeit, ihr Studium durch eigene Neugier und ein sich langsam bildendes Urteilsvermögen zu bestimmen.
Dass zwischen Erwartung und dem, was dann wirksam wird, eine jähe Kluft besteht, dass Enttäuschung den Alltag bestimmt, ist weder universitär noch anderwärts neu. Die Art und Weise jedoch, wie auf allen Ebenen des zerhackten Bildungssystems nötige Lern- und Lehr-Engagements zur sterilen Aufgeregtheit individualisierten Mittelmaßes verkümmern, hat neuerdings politische und ökonomische Zusatzgründe. Sie werden gegenwärtig strukturell verankert und habituell eingepaukt. Am Exempel: Bachelor-Studiengänge. Sie sind ein bildungspolitisches Verbrechen an den jungen Menschen. Sie werden nicht nur entbildet, sie sind Doppelverlierer auf dem Arbeitsmarkt. Sie werden allenfalls als wohlfeile mobile und flexible Minifunktionäre eingesetzt. Dagegen müssten sich alle Universitätsgruppen wehren. Studierende und Hochschullehrer werden den Bachelor vorerst nicht abschaffen können. Sie könnten jedoch viel dagegen tun. Indem sie den Bachelor als Kurzschluss eines Scheinstudiums ignorieren und nur den Abschluss eines Studiums, das den Namen verdient, anstreben: Magister, Master, Diplom u. ä. m. Studierende sollten den Bachelor-Abschluss systematisch verweigern und sich nicht einäugig auf die Abwehr von Studiengebühren konzentrieren.
Wer die Universitäten betritt, trifft auf ein Ensemble von Faktoren, die einen systematischen Vorgang des Entlernens bedingen. Betrachten wir die Lehr-Lern-Prozesse, so erkennen wir eine habituelle Naturalisierung der Ungleichheit von Bildungsklassen – zwischen solchen, die ein Bachelor-Studium anstreben, und solchen, die als Master in Exzellenz-Nähe rücken. Bildungspolitik mildert soziale Unterschiede nicht, sie zementiert den Pathos der Ungleichheit.
Wir beobachten eine Modularisierung beider Studiengänge in dem Sinne, dass verpackte Lerneinheiten, das heißt Module, serviert und in die verschiedenen weit geöffneten Rachen der Studierenden „lehrend“ gestopft werden können. Die Studierenden erleben das Studium als Lauf durch die Spießruten der scheingenau, einseitig aber folgenreich verpassten Noten bis hin zur Strafe der „Semesterversetzung“.
Die Ekstase der schmalspurigen Fachidiotisierung wird fächer- und universitätszentral durch neue Managementprozeduren durchgepaukt – an der FU Berlin mithilfe eines „Campusmanagements“. So soll Konkurrenz stimuliert werden. Zuerst zwischen den Studierenden, damit sie später auf der erbärmlichen Jobsuche auch entsprechend flexibel seien; dann zwischen den Lehrenden, zwischen den Fächern und schließlich zwischen den Universitäten. Perfektioniert werden diese repressiv-präventiven Anreiz- und Abstoßungssysteme durch die nach wie vor verfassungswidrig geltenden Numeri clausi und die Studiengebühren.
Die von einer Vorstufe der Banalität des Bösen geprägten Prozesse des Entlernens kulminieren in der Struktur der Bachelor-Studiengänge. Da wird so getan, als ob Menschen einer durchgeschobenen Pizza gleich durch ein sechssemestriges Studium wissenschaftlich begründete Urteilsfähigkeit erwerben könnten. Ausnahmsweise stimmen viele Juristen, Ingenieure und Sozialwissenschaftler darin überein, dass ein macdonaldisiertes Kurzstudium bildungs- und fachspezifisch nicht gerechtfertigt werden kann. Denn dieses Schnellstudium fertigt ab – und es verunmöglicht exemplarische und vertiefende Lehr-Lern-Prozesse. Studierende werden mit dem Bachelor systematisch unterfordert. Ihre Entwicklungsmöglichkeiten bleiben unausgeschöpft. Sie werden mit einer kurz zündelnden intellektuellen Brenndauer entlassen, die sie den Wechselfällen des Arbeitsmarktes willkürlich und ohnmächtig aussetzt. Der Bachelor ist ein billiges Strohfeuer einer Bildungs- und Hochschulpolitik, die sich ihren eigentlichen Aufgaben nicht stellt.
Nein, die Studien können in einer solchen Situation nicht blühen. Ohne Frage ist die Situation in einzelnen Fächern je nach Studentin oder Lehrendem verschieden auslegbar. Dennoch gilt insgesamt: Wer den weiter geltenden Kern der nie verwirklichten Idee der Universität Humboldts retten will, der muss gegen ihre Perversion im Namen der Steigerung von vermeintlicher Exzellenz Sturm laufen. Es ist ein Zeichen der dequalifizierenden Magersuchtkonkurrenz, dass die privilegierten Hochschullehrer fast ohne Opposition die restlose Zerstörung eines allein demokratisch menschenrechtlich funktionstüchtigen tertiären Bildungssektors hinnehmen. All die so genannt verantwortlichen Politiker und die von ihnen informierte Öffentlichkeit, den unkritischen Medien zu schweigen, bundespräsidial symbolisch angeführt, schavanisch fortgesetzt, im undemokratischen Exekutivföderalismus vollends zaunkönigsmächtig verblendet, tanzen gedankenarm nur ums golden, sprich elitemonetär bestückte Kalb der machtvollen Interessen allein funktionalen, exklusiv technologischen Innovation.
Deshalb ist es höchste Zeit, eine „Idee der Universität“ zu propagieren, die den menschenrechtlich demokratischen Problemen und Anforderungen des 21. Jahrhunderts angemessener wäre. All das, was gegenwärtig im neudeutschen Jargon, von der europäischen Hybris mit dem Namen Lissabon-Strategie (1999) inspiriert, aufgeschminkt bis zum Gehtnichtmehr, an so genannten Exzellenz-Initiativen titel- und zuckergeschäumt wird, steht dem strikt entgegen, was an sozialen Innovationen nottäte. Es hat allenfalls den Doppelzweck, alle universitären Einrichtungen und ihre VertreterInnen kopflos in die monetärbespickte geradezu pawlowsche Konkurrenzfalle zu locken und zugleich – das ist des argen Pudels Kern – die Ungleichheit in den europäischen Gesellschaften bildungspolitisch zu naturalisieren.
Universitäten müssten ein Doppeltes gesamtgesellschaftlich leisten: zum einen, junge erwachsene Bürgerinnen so fachauszubilden, dass sie über den Tellerrand ihres Fachs und seiner zusätzlich spezialisierenden Schubfächer hinausblicken. Sie sollen in der Lage sein, aufgrund verallgemeinerbarer Kriterien und eingeübter Vorstellungskraft für die Wirklichkeit urteilsfähig zu werden. Zum anderen, Forschungen im Sinne des forschenden Lernens so zu betreiben, dass die universitären Spezialistinnen solchen Innovationen nachjagen und sie allgemein verwertbar vorlegen, die im Sinne eines universitär öffentlich geleisteten Voraussetzungs-, Ziel-, Funktions- und Folgetests geprüft worden sind. Und deswegen auch prinzipiell bis in ihre sprachliche Darstellung hinein von allen überprüft werden können. Erst wenn diesen Zielen einigermaßen näher gekommen würde, sind Universitäten für eine im 21. Jahrhundert mögliche und nötige Demokratie unabdingbar. Sonst könnte man sie in modisch gewordene Public Private Partnership für Hightech und andere Investitions- und globale Konkurrenzzwecke abschieben. Der erste Schritt ist die Verweigerung von nicht akzeptablen Studiengängen.
Die Autoren sind Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin