: Warten auf den teuren Glaspalast
Heute sollte Hamburgs Elbphilharmonie fertig sein. Inzwischen ist klar, dass es ein Jahr länger dauert. Oder zwei. Oder 20
VON PETRA SCHELLEN
Nein, sagte James, es ist wieder keiner gekommen. Tränenumflort blickte Christopherus Seuterius VII. auf seinen treuen Diener. In letzter Zeit hatte er stark nachgelassen, war selbst zum Mittagessen im alten Frottee-Bademantel erschienen. Heute hatte er Urgroßvaters braunes Mittagsjäckchen angelegt.
Dabei hatte er sich eigentlich schick machen wollen. Denn wie alljährlich am Neujahrstag war ein Konzert zu Ehren derer von Stuth und von Welck geplant, die als Schirmherren der Elbphilharmonie galten, als deren Intendant Christopherus’ Ur-Urgroßvater berufen worden war. Ein, zwei Nachfahren der beiden Hamburger Ex-Kultursenatoren lebten noch. Aber die gingen wohl lieber Bötchen fahren als ins Konzert.
Andererseits wäre es Christopherus schon peinlich gewesen, mit zerlöchertem Dach dazustehen; nicht einmal Planen hatte der Dachdecker diesmal über die Ruine gespannt. Ursprünglich hatte das ja alles aus Glas sein sollen. Dann war aber der legendäre Sturm anno 2.345 gekommen. Hamburgs Elbphilharmonie war halb fertig gewesen, dichter Novembernebel herrschte. Ein großer Kran sollte das „größte Fassadenelement von allen“ montieren – zur Freude der mit Luftballons und Wunderkerzen angereisten Bevölkerung. So ganz treffsicher war der Kranführer nicht, hatte er doch erst kürzlich den halben Lastenaufzug mit einem Glaselement zertrümmert, aber Chef ist nun mal Chef, und der Kranführerlehrling sollte es nicht machen, fand die Belegschaft. Also hatte Franzke das Teil bei Windstärke 12 in die Höhe gewuchtet und sehr präzise den Eigentumswohnungsturm geköpft. Zurück blieb eine Art gläsernes Haifischmaul, breit und gierig gen Himmel geöffnet. Vom Konzertsaal, das war tröstlich, stand noch kein Stein; der konnte also nicht beschädigt werden.
Aber trotzdem, was jetzt den Investoren sagen? Wie Hamburgs Hautevolee trösten, die ihre Elbblick-Maisonettes im Geiste schon möblierte? Ein wahrer Tagungsmarathon begann: Ausschüsse, Deputationen, Fraktionen, Bürgerschaft, Senat sowie das neu eingeführte Allthing tagten, letzteres eine Art Kultur-Ältestenrat aus pensionierten Juristen. Jahre vergingen, und man hätte manches retten können. Doch der Klimawandel war schneller – und hatte eines Morgens einen Großteil der Ruine abgeschmolzen. Schön hatte das ausgesehen, wie auf Salvador Dalis Bild mit der schmelzenden Zeit, eine Einladung zum philosophischen Diskurs, fand die Subkultur-Szene hämisch.
Ökos wollten kein Plastik
Eine Weile überlegte man, das Ganze mit preiswertem Schiefer aus dem Bergischen Land aufzufüllen. Das sei ein so intelligenter wie formschöner Materialmix, hatten die Architekten Artig und Maurer argumentiert. Allein, man verwehrte es ihnen. Zu schwarz, vor allem: zu nass sähe das aus bei dem vielen Hamburger Regen. Das werde dem Image Abbruch tun, fanden Senat und Bürgertum.
Dann also eine ewige Ruine? Nun ja, warf ein ergrauter Senatsherr ein, der Kölner Dom habe auch 200 Jahren lang halbfertig herumgestanden, ohne dass irgendwer depressiv geworden wäre. Und dann hatte man doch noch den Dombauverein gegründet und die Fertigstellung finanziert. Warum also nicht die Nachfahren der Elbphilharmonie-Stifter zusammentrommeln, um ein, zwei Fünferlein zu akquirieren?
Gesagt, getan: Die erste Sitzung der Weißhaarigen verlief in freundlicher Atmosphäre. An eine „Elbphilharmonie“ freilich erinnerte sich niemand. Wohl aber an die Hammaburg, und für deren Wiederaufbau wollte man gern spenden. Was also tun, um die Greise zu überzeugen? Das Konzerthaus in Hammamonie, Harmonium oder gleich Ziehharmonika umbenennen? Ein bisschen sah die Ruine jetzt ja so aus, und außerdem war die Ziehharmonika schließlich im Hamburger Hafen erfunden worden...
Wieder einmal zögerten die Hanseaten, bis es zu spät war: Mit der Währungskrise von 2.360 sank die Spendierfreude auf Null; die Verteuerung des rasant schmelzenden Rohstoffs Glas folgte. Kurzfristig erwog man eine Plastik-Lösung, aber da bockte die Ökopartei – warum, wusste Christopherus nicht mehr genau. Monate später waren alle nur denkbaren Politiker zurückgetreten und ins Containerschiff-Märchenland Wilhelmshaven gezogen, wo man gerade mit dem Bau einer Wilharmonie begonnen hatte. Die sollte – Inbegriff des Wohlstands – aus schmelzsicherem Glas bestehen und wie ein Schiff aussehen. Das erinnere die Menschen, so die zu Architekten umgeschulten Ex-Kapitäne, ans Meer.
Christopherus Seuterius VII. wurde bei diesen Aktivitäten nicht gebraucht, da wollte man jüngeres Blut. Aber Hausmeister und Letzter-macht-das-Licht-aus-Wächter könne er wohl sein, hatte man ihm gesagt, als er um Vertragsverlängerung ersuchte. Dafür sei er, als weltältester virtueller Intendant in dritter Generation, durchaus qualifiziert, fanden die Thing-Juristen.
Ein sinkendes Schiff
Anfangs war er geschmeichelt, sogar ein bisschen stolz drauf gewesen und hatte darüber gar nicht mitbekommen, dass es in der Ruine immer einsamer wurde. Ein bisschen abgesackt war sie übrigens auch; einige der Gründungs-Holzpfähle waren im sich erhitzenden Wasser faulig geworden und hatten dem Gebäude ganz schön Schlagseite verschafft. „Wie ein sinkendes Schiff“, pflegte Christopherus zu witzeln, wenn sein Butler gerade mal in der Nähe war. Aber auch solche Scherze waren selten geworden. Wie lange würde er wohl noch leben, dachte Christopherus. In Zeiten wie diesen konnten es gut und gern 300 Jahre werden. Wenn er ordentlich aß, auch 400. Und wer weiß, vielleicht würde er irgendwann am anderen Ende der Zeit wieder herauskommen. An jenem Ende, an dem Hamburg noch vital und voll Glaubens an sein schönes, gläsernes Konzerthaus in spe war.
taz: Herr Ewings, Sie haben vier Jahre an der Osloer Oper gebaut und waren früher fertig als geplant. Um wie viel?
Simon Ewings: Die Oper wurde am 12. 4. 2008 eröffnet. Das war rund ein halbes Jahr „zu früh“.
Warum war das möglich?
Vor allem aufgrund guter Planung. Die staatliche Projekt- und Entwicklungsgesellschaft Statsbygg – vergleichbar mit der Hamburger Realisierungsgesellschaft Rege für die Elbphilharmonie – war sehr gut organisiert und hat präzise Zeit- und Geldbudgets berechnet und kontrolliert. Zudem hatten alle Vertragspartner – sowohl wir als Architekten als auch die Subunternehmer von Statsbygg– das Ziel, rechtzeitig fertig zu werden.
Wie war die Vertragskonstruktion?
Wir als Architekturbüro hatten einen Vertrag mit der Entwicklungsgesellschaft Statsbygg – wie in Hamburg die Architekten Herzog & de Meuron mit der Rege.
Haben Sie als Architekten nachträglich teure Änderungswünsche angemeldet, wie man es Herzog & de Meuron vorwirft?
Nein. Wir haben unsere Planungen eingereicht, die dann ausgeschrieben wurden. Als wir die Angebote der Subunternehmer zurückbekamen, haben wir – mit Rücksicht auf das Budget – in einigen Fällen billigere Lösungen gewählt.
Zum Beispiel?
Wir hatten geplant, etliche Bauteile vor Ort aus Beton zu gießen und exakt anzupassen. Als wir das im Detail ausrechneten, wurde uns klar, dass das zu teuer und zu zeitraubend sein würde. Wir haben uns also entschlossen, stattdessen vorfabrizierte Elemente zu verwenden.
Gab es auch Dinge, die teurer wurden als geplant?
Letztlich nicht; schließlich ist das Gebäude um ca. 36 Millionen Euro billiger geworden als geplant. Allerdings hatten wir einen finanziellen Puffer für Unvorhergesehenes, unter anderem deshalb, weil wir in einem Areal bauten, das seit dem Mittelalter besiedelt gewesen war. Man musste also mit archäologischen Funden rechnen, die den Bau verzögern und verteuern würden.
Apropos verteuern: War es Ihr Anspruch, den „weltbesten Konzertsaal“ zu schaffen, wie es die Hamburger wollen?
Nun, niemand hat solch hehre Ausdrücke in den Mund genommen. Aber es war immer klar, dass dies ein Saal mit einer außergewöhnlich guten Akustik sein sollte.
Muss die zwangsläufig teuer sein?
Nein, denn man kann ja inzwischen alles am Computer simulieren. Der Saal der Osloer Oper besteht großteils aus Eiche, einem sehr guten Resonanzkörper. Im Detail ist aber jeder Handlauf, jede Linienführung, jeder Winkel exakt auf die akustischen Erfordernisse abgestimmt.
Hielt die Computer-Simulation, was sie versprach?
Sie übertraf unsere Erwartungen. Wir waren selbst erstaunt, wie gut nicht nur die Akustik, sondern das ganze Projekt funktionieren sollte. Wir haben eine Platzauslastung von über 90 Prozent, was für eine Oper selten ist.
Worauf führen Sie das zurück?
Unter anderem darauf, dass wir die Oper als „Haus für alle“ geplant haben. Sie ist mit Bedacht so konstruiert, dass man auf ihr bis zur Wasserkante entlangspazieren kann. Diese Option nutzen die Osloer gern. Die Oper ist inzwischen zu einem Treffpunkt geworden, den man auch unabhängig von Konzerten aufsucht.
Warum wollten Sie ein so explizit öffentliches Gebäude?
Das hat etwas mit der Rolle von Kultur in der Gesellschaft zu tun. Wenn man das Glück hat, ein hochwertiges öffentliches Gebäude für Kultur bauen zu können, kann man der Öffentlichkeit, deren Gelder es schließlich sind, auch etwas zurückzugeben versuchen. Der Gedanke, dass Kultur nichts Abgeschottetes, sondern etwas Öffentliches ist, passt übrigens gut zur norwegischen Sozialdemokratie. INTERVIEW PS