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Archiv-Artikel

War es gut von den Hamburger Grünen, die Koalition mit der CDU platzen zu lassen?

Der Bruch ist opportunistisch, aber die GAL profitiert nicht vom Grünen-Trend

JA

DER AUSSTIEG AUS DER KOALITION KOMMT ZUM RICHTIGEN ZEITPUNKT, MEINT MARCO CARINI

Ziemlich viel richtig gemacht

Hinterher ist man immer schlauer. Und so mehren sich die Stimmen, dass die GAL doch schon viel früher aus Schwarz-Grün hätte aussteigen müssen, das Bündnis am besten sowieso gar nicht erst begonnen hätte. Eine genauere Analyse aber zeigt: Die Grünen haben ziemlich viel richtig gemacht.

Schwarz-Grün hat es gegeben, weil auf Bundesebene sowohl die CDU wie auch die GAL eine weitere Koalitionsoption brauchten, um hier nicht ewig an die FDP, dort an die SPD gekettet zu sein. Schwarz-Grün hat es gegeben, weil Hamburgs CDU in den Koalitionsverhandlungen der GAL mehr Zugeständnisse gemacht hat, als es Jahre zuvor die SPD tat, und weil mit Ole von Beust ein Bürgermeister, der Schwarz-Grün wollte, für hohe Verlässlichkeit und Vertrauen innerhalb der Koalition gesorgt hatte.

Dass die grünen Inhalte nicht praktische Politik wurden, liegt nur zum kleineren Teil am Bündnispartner CDU. Den Moorburg-Stopp hebelten die Gerichte aus, die Schulreform eine gut organisierte Volksinitiative und auch die Stadtbahn drohte zuletzt am Widerstand der Hamburger zu scheitern. Wer wie die Grünen plebiszitäre Elemente will und ernst nimmt, der kann und darf nicht die Brocken hinschmeißen, wenn das Volk einmal anders abstimmt, als die Partei es wünscht. Dass es den Grünen nicht gelungen ist, bei der Schulreform und der Stadtbahn gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren, müssen sie sich selber zuschreiben. Ein Grund, beleidigt eine Koalition aufzukündigen, sind diese Niederlagen keinesfalls.

Auch der Rücktritt Ole von Beusts konnte ein solcher Ausstiegs-Grund nicht sein. Das hätte bedeutet, die Funktionstüchtigkeit von Schwarz-Grün in die Hand des mächtigsten Mannes des Koalitionspartners zu legen. Die Frage, ob Schwarz-Grün auch ohne von Beust funktionieren kann, musste durch praktische Überprüfung beantwortet werden. Das geht nur, wenn man es bei aller Skepsis mit einem neuen Mann – in diesem Falle Christoph Ahlhaus – zumindest versucht. Dass Ahlhaus angekündigt hat, ohne wenn und aber für Schwarz-Grün einzustehen, machte es für die Grünen unmöglich, nach dem Rücktritt von von Beust die Brocken hinzuschmeißen. „Ahlhaus’ Nase passt uns nicht“, ist ein verdammt klägliches Argument für einen Koalitionsausstieg, die GAL hätte sich zu Recht den Vorwurf der Fahnenflucht gefallen lassen müssen.

Die Frage, ob Schwarz-Grün unter Ahlhaus funktioniert, ist nun beantwortet. Seit seinem Amtsantritt hat es Abstimmungsprobleme zwischen CDU und GAL, Wortbrüche und Alleingänge der CDU-Mehrheit gegeben. Waghalsige Personalentscheidungen wurden von Ahlhaus durchgepeitscht, Koalitionsbeschlüsse nicht umgesetzt. So wurde die Koalition erst ein Fall für die Paartherapie, dann für den Scheidungsrichter. Kaum ein Hamburger und zuletzt auch kaum ein Grüner mochte den Chaos-Klub im Hamburger Rathaus noch ertragen. Hätten die GAL jetzt nicht gehandelt, wäre ihr zu Recht der Vorwurf zuteil geworden, nur noch an Posten zu kleben.

Es waren viele kleine Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Der genaue Zeitpunkt für eine Aufkündigung des Bündnisses, das sich zuletzt nur noch selbst zerlegte, war in der Tat beliebig: Die Koalition hätte auch zwei Wochen früher oder zehn Tage später platzen können. Nur wenn sie sich bis zum Ende durchgeschleppt, die GAL den Absprung ganz verpasst hätte, hätten die Wähler sie 2012 wohl ausgezählt.

NEIN

DER AUSSTIEG AUS DER KOALITION IST EIN REIN WAHLTAKTISCH MOTIVIERTES MANÖVER DER GRÜNEN, MEINT JAN KAHLCKE

Von Umfragen getrieben

Für einen Koalitionsbruch haben die Hamburger Grünen keinen glaubwürdigen Anlass. Der Rücktritt des juristisch angeschlagenen CDU-Finanzsenators Carsten Frigge hätte ihnen eher Erleichterung, denn Belastung sein müssen. Und Nachfolger Rüdiger Kruse war dem Koalitionspartner wie auf den Leib geschneidert: schwarz-grüner geht’s nicht.

Nicht, dass es keine guten Gründe gäbe, die schwarz-grüne Koalition zu beenden. Die haben die Grünen nur allzu lange ignoriert. Allein das Scheitern des großen grünen Prestigeprojekts Schulreform im Juli wäre ein verdammt guter Grund gewesen, die Brocken hinzuwerfen – authentisch und konsequent. Spätestens als am selben Tag mit Ole von Beust der Spiritus Rector der Koalition frustriert von Bord ging, hätten die Grünen wissen müssen: Dieses Bündnis hat keine Zukunft. Aber die Partei verfiel in eine Schockstarre.

Es waren viele kleine Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten

Aus der hätte sie wieder aufwachen müssen, als CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus seine Regierungsmannschaft präsentierte: eine einzige Provokation für die grüne Seele. Ein Geheimdienstler wie Heino Vahldieck als Innensenator kann den Grünen per se nicht gefallen. Polit-Rambo Reinhard Stuth war schon als Kultur-Staatsrat an seinen kommunikativen Defiziten gescheitert und in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden – und wurde von Ahlhaus zum Senator befördert. Er war keine drei Wochen im Amt, da hatte er den ersten Intendanten vergrault, inzwischen hat er mit seinen unausgegorenen Spar-Dekreten die gesamte Kulturszene gegen sich aufgebracht. Und der neue Wirtschaftssenator Ian Karan ist ein geltungssüchtiger Unternehmer mit beträchtlichen Erinnerungslücken, was die eigene Biografie angeht. Dass er seinerzeit die Populisten von der Schill-Partei mit großzügigen Spenden bedacht hatte, ist nur das Tüpfelchen auf dem i.

Und die Grünen? Maulten irgendwas von „Bauchschmerzen“ – und regierten einfach weiter, oder was sie dafür hielten: Schulsenatorin Christa Goetsch kehrte die Scherben ihrer Primarschule zusammen – nur um sich die Kehrschaufel ein ums andere Mal vom gewieften Gymnasial-Anwalt Walter Scheuerl aus der Hand schlagen zu lassen. Justizsenator Till Steffen blies einen ebenso wohlmeinenden wie wohlfeilen Vorschlag an die Justizministerkonferenz nach dem anderen heraus. Und Umweltsenatorin Anja Hajduk musste mit ansehen, wie der wachsende Widerstand – befeuert von den Springer-Medien – ihre Straßenbahn-Pläne ruinierte, eigentlich als allerletztes grünes Sieger-Thema auserkoren. Warum sich die Grünen das antaten? Es fällt schwer, dafür einen anderen Grund als den reinen Machterhalt zu sehen.

Die Absetzbewegungen der GAL begannen erst, als im Fahrwasser von Stuttgart 21 und Gorleben-Protest die grünen Umfrage-Werte bundesweit in die Höhe schossen. Da wurde plötzlich klar: Wir müssen hier raus! Fraktionschef Jens Kerstan holte den Hammer raus: Er demütigte Ahlhaus öffentlich, indem er ihm ein Ultimatum für die Ablösung von HSH Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher setzte – und Ahlhaus kuschte. Den Grünen war wieder ein Ausstiegsgrund abhanden gekommen.

Nun haben sie es trotzdem getan, einfach so, noch nicht mal mit einem vorgeschobenen Grund. Das ist der pure Opportunismus. Aber Vorsicht: Die Hamburger GAL hat schon bisher nicht vom starken Bundestrend der Grünen profitiert. Und mit ihrem wahltaktisch motivierten Ausstiegsmanöver hat sie den Wählern gerade keine neuen Gründe dafür geliefert.