Und über allen Reden: Wladimir Putin

KONGRESS Europäische Schriftsteller reden über kulturelle Identitäten

Sich gegenseitig mehr zuhören. Politische Grenzen und solche der Sprache überwinden. An Verständigung arbeiten. Solche Klassiker des Allgemeinplatzes fielen auch auf „Europäischen Schriftstellerkonferenz“, zu der sich am Donnerstag 30 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus 24 Ländern in Berlin trafen, um über Europa zu reden. Sie fallen immer, wenn Menschen, die keine direkten Entscheidungen fällen müssen, über aktuelle Konflikte reden. Es war aber auch eine fruchtbare Gelegenheit, sich in einem weitgesteckten intellektuellen Rahmen gegenseitig auf Stand zu bringen.

Die Idee zu der Veranstaltung hatten vor einem Jahr die Autoren Mely Kiyak, Nicol Ljubic, Antje Rávic Strubel und Tilman Spengler zusammen mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Wer von solchen Treffen direkte Ergebnisse erwartet, ist naiv. Dass geredet wird, ist bei solchen politischen Großwetterlagen wie derzeit Ergebnis genug.

„Kann Literatur ein Europa schaffen?“ – „Grenzen über Menschen oder Wer ist Europa?“ – „Europa aus der Perspektive der Minderheiten“ und „Europa – Ein Freilichtmuseum“ waren die vier Panels betitelt. Gleich auf dem ersten legte die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko dezidiert los, als sie Putin in einem Atemzug mit Hitler und Stalin nannte. „The Hitlers, Stalins, now Putins“, sagte sie ausdrücklich. Darüber hinaus wandte sie sich gegen die kitschige Mär von der unschuldigen Literatur. Die Literatur helfe mit, die Fake-Realität herzustellen, die zur Rechtfertigung der russischen Aggression in der Ukraine zurechtgezimmert worden sei. Und weiter: Es gebe einen Schild aus Wörtern, der um die ukrainische Tragödie gelegt werde. Zu diesem Schild trage auch die Literatur bei, indem sie Geschichten von kulturellen Bedrohungen und Feindschaften sowie nationalistische Narrative bereitstelle.

Geredet wurde auch über die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit – die von dem Slowenier Goran Vojnovic aufgebrachte Idee von Internetplattformen, auf der Texte in alle europäischen Sprachen übersetzt werden könnten, fanden alle Autoren gut – sowie über die von der Frontex verteidigte Südgrenze der EU. Aber natürlich war die Ukrainekrise immer wieder das Thema, über das mit der größten Betroffenheit gesprochen wurde, etwa auch vom russischen Schriftsteller Michail Schischkin und dem belarussischen Autor Alhierd Bacharevic. Auffällig war, dass sich alle Beteiligten Mühe gaben, keinen Kulturkampf mit Russland herbeizureden, sondern das gegenwärtige russische Regime an den Pranger zu stellen. Oksana Sabuschkos Putinkritik blieb unwidersprochen. Es herrschte unausgesprochene Einigkeit darüber, dass so ein Vorgehen wie das Russlands nicht nur ein nationalistischer Rückfall ist, sondern auch nicht mehr zur Idee von Europa gehört oder wenigstens nicht gehören soll.

Was tun? Michail Schischkin sprach von seiner Hoffnung auf machtvollere Sanktionen der EU gegen Russland und adressierte das an Politiker und Journalisten. Er sagte aber auch, dass die Literatur eigentlich noch eine wichtigere Aufgabe habe, nämlich „das Gefühl der menschlichen Würde zu erwecken“. Nur die europäische Literatur habe ihm die Möglichkeit gegeben, sich in der Sowjetunion nicht nur als Sklave des Regimes zu empfinden.

In Richtung dieses Punktes „Würde“ zielte vieles auf dieser Tagung. Von ihm aus wurde ein vereinheitlichendes Denken in kulturellen Identitäten hinterfragt, und das ist vielleicht so etwas wie die Schnittmenge aus literarischen Erfahrungen, europäischem Hintergrund sowie Frontex- und Putinkritik. Die 1982 geborene kroatische Autorin Ivana Simic Bodrozic berichtete etwa davon, wie lebensbedrohend die simple Unterscheidung zwischen Serben und Kroaten während ihrer Jugend gewesen sei, und brach eine Lanze dafür, dass jeder Mensch aus vielen Identitäten bestehe, was die deutsche Autorin Carolin Emcke in einem Redebeitrag bestärkte.

Neben seinem Setzen aufs Militär ist es, dachte man beim Zuhören, vor allem dies, was Putin gerade ins europäische Abseits stellt: Unter seinem Regime kann man nicht gefahrlos anders oder unterschiedlich sein. Genau das aber gehört zum Kern eines europäischen Selbstverständnisses, so wie es auf dieser Tagung zum Ausdruck kam. DIRK KNIPPHALS