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Archiv-Artikel

Missvergnügen am Micheltum

Archiv für ambivalentes Deutschsein: Gedacht war „This land is my land“ als kulturelle Spaßbremse für glückstrunkene WM-Fußballhorden in Nürnberg. Jetzt ist ein Update des Ausstellungsprojekts in der NGBK und im Kunstraum Kreuzberg zu sehen

VON HARALD FRICKE

Einen Monat lang Ausnahmezustand – wann gab es das schon zuletzt in Deutschland? Gewiss, die Winterwochen nach dem Mauerfall 1989 waren ähnlich glückstrunken wie die WM-Zeit. Aber erst in diesem Jahr konnte man sich auch gesamtgesellschaftsdeutsch für die Party in Schwarzrotgold lockermachen. Selbst Linke entdeckten über den Umweg Sport ihre Liebe zum Verfassungspatriotismus.

Insofern steht „This land is my land“ ein wenig auf verlorenem Posten. Nachdem das von Dorothee Bienert, Marina Sorbello und Antje Weitzel betreute Ausstellungsprojekt in Nürnberg bereits Mitte Mai als kulturelle Spaßbremse für die erwarteten Fußballhorden installiert worden war, ist jetzt ein Update mit 18 künstlerischen Beiträgen in der NGBK und im Kunstraum Kreuzberg zu sehen. Schließlich hat sich doch noch einiges an Bildern angesammelt im Deutschland-Sommer 2006.

Zum Beispiel Johannes Raethers Foto/Sound-Installation „Die deutsche Achse“. Es ist eine Recherche, in der sich der 1977 geborene Künstler damit beschäftigt, wie das „Land der Ideen“ sich marketingtechnisch geschlagen hat. Das Ergebnis wirkt mitunter erschütternd trist: Raethers Fotos zeigen ein Deutschland der überdimensionalen Symbole, von den Buchrückentürmen am Bebelplatz bis zu riesigen Turnschuhen unweit des Kanzleramts. Doch diese Größe ersetzt nur den preußischen Denkmalsklassizismus durch modernes Power-Branding. 1:0 für die Bedenkenträger, denen Raethers im Zentrum von Berlin entstandene Momentaufnahmen vor allem ein Zeugnis der sinnentleerten Zeichensprache der Deutschland-AG liefern.

Solche Verweise sind im Kunstkontext natürlich erwartbar. Auch sonst hat „This land is my land“ einige Schwierigkeiten, neue Argumente oder besser: diskursiv nicht völlig aufgebrauchte Bilder zu finden. Falk Haberkorn und Sven Johne blasen für ihre 2005 entstandene Installation „Tropical Island“ Zeitungsausschnitte zu einer Befindlichkeitstapete auf, in der sich NPD-Aufmärsche mit Volksmusik-Reportagen und Vermischte-Seiten-Quatsch abwechseln; nebenan hängt die Fotoserie „Ostdeutsche Landschaften“, die öde Ackerflächen mit den Geschichten von gescheiterten Nachwende-Existenzen kombiniert. Ingo Gerken hat unter dem Titel „Du bist Deutschland“ einen Filzpantoffel „als Insignie für Gemütlichkeit“ vor einen Spiegel gestellt. Dabei lebt die Arbeit nicht von der Illusion des zweiten Schuhs, die eine gespiegelte Leerstelle ist; stattdessen zeugt sie eher vom Missvergnügen am deutschen Micheltum, das der Betrachter vor dem vermeintlichen Kultobjekt empfinden soll.

Es mag an den komplexen Zusammenhängen liegen, die sich visuell nicht wirklich gut verhandeln lassen. So ist der Nationalismus als Popgefühl nur ein Gute-Laune-Symbol, unter dessen Oberfläche die Ausstellungsmacherinnen zeigen wollen, dass ost- und westdeutsche Identitäten ebenso sehr von südeuropäischen oder asiatischen Arbeitsmigranten geprägt wurden. Wäre 2006 nicht ideal gewesen, um sich tolerant für Gäste, aber eben auch offen im Umgang mit Zuwanderung zu zeigen?

Dieser Spur ist Harun Farocki mit seiner Videoarbeit „Aufstellung“ gefolgt. Als Quersumme aus hunderten von Zeitungsschnipseln sieht man Tortendiagramme und Schautabellen, in denen der Ausländer in seiner piktografischen Abstraktion nur Klischees bedient: die Frau mit Kopftuch, der Mann als repräsentativer Schnauzbart – Hohlkörper für ein paar Millionen Individuen. Farockis Montage macht die Grobheit der ethnischen Zuschreibungen sichtbar, wie sie von fast allen Medien transportiert wird. Angesichts solch einer ikonografischen Abkühlung der Verhältnisse ist Marisa Mazas Dia-Schau nebenan, für die Migranten Fotos ihrer neuen Heimat in Nürnberg und Berlin gemacht haben, ein beschauliches Goodwill-Konzept zum Mitmachen.

Überhaupt setzt „This land is my land“ oft auf die bloße Häufung von Material. Ein Raum im Bethanien dient als Archiv für gleich dutzendfach Spielfilme und Dokumentationen zum ambivalenten Deutschsein der letzten 15 Jahre. Dagegen zerlegt Thomas Locher in der NGBK den Grundgesetz-Artikel von der „Gleichheit vor dem Gesetz“ in ein Labyrinth aus Fangfragen; und Lise Harlevs Statement über die Fähigkeit zur Kritik – trotz aller nationaler Bekenntnisse – ist ein kluges Wortspiel im Offsetdruckverfahren. Am anderen Ende der Dialektik wird man von Florian Wüst per Hörspiel und mit einer Wandmalerei über die Rolle der Grünen und Linken im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess seit den 80er-Jahren informiert. Bei ihm findet man auch ein 68er-Zitat von Rudi Dutschke, der wusste, dass der Westen sich vor einer Revolte des Sozialismus aus dem Osten fürchten müsse. Es kam ja anders. Sonst wäre dies Land wohl das Land geworden, in dem sich diejenigen hätten wohlfühlen können, die nun in der Ausstellung an der Identität leiden. Und der Rest feiert eben, wie gehabt.

Bis 3. 12., NGBK und Kunstraum Kreuzberg/Bethanien