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Archiv-Artikel

Ambivalente Hymnen

POP Mit brüchiger Stimme besingen, was der Fall ist: Jens Friebe entmythologisiert auf seinem neuen Album „Abändern“ Szene-Codes – und den Begriff der Veränderung

Um die große Abänderung im politisch-emphatischen Sinne geht es hier gerade nicht

VON MICHAEL SAAGER

Es gibt Bands, da würde man es kaum bemerken, wenn sich ein neuer Sänger eingeschlichen hätte. Man wäre kurz irritiert, würde sich über das etwas hellere Timbre wundern, einmal mit den Achseln zucken, und gut. Seit die Stimmen-Modulations-Software Autotune inflationär benutzt wird – nicht um Unterschiede herzustellen, sondern um über die immer gleiche Einstellung den Klang von Stimmen zu klonen – hat sich die Situation noch einmal geändert: Die individuelle Stimme ist heute alles, sofern man Casting-Shows mit Dieter Bohlen glauben darf – und gleichzeitig ist sie nichts.

Womit wir beim Berliner Popmusiker Jens Friebe wären, dessen viertes Album „Abändern“ einmal mehr verdeutlicht, wie viel die „richtige“ Stimme bestenfalls auszutragen in der Lage ist. Anders gesagt, Friebes Songs würden ihre Botschaften, Bilder, Metaphern, ihren ganzen poetischen und popmythischen Überschuss mithin, wahrscheinlich weniger überzeugend rüberbringen, wenn der 1975 in Lüdenscheid geborene Musiker, Kolumnist und Autor nicht diese Stimme hätte: nicht schön im professionellen Sinne, viel zu dünn, seltsam brüchig, leicht leierig und sehr jungenhaft und gerade deshalb auf eine nachgerade charmante Weise wunderschön und ziemlich ausdrucksstark. Friebes Stimme, seine ganze Art zu singen, zu betonen, verstärkt mit ihrer Patina latenter Traurigkeit die Wirkung der Texte ganz enorm.

„Abändern“ also. Der Titel des Albums setzt einen möglicherweise auf die falsche Spur, denn um die große Abänderung, einen Wandel im politisch-emphatischen Sinne geht es hier gerade nicht. Im Gegenteil: Die Vorsilbe „Ab“ zielt laut Friebe auf eine Entmythologisierung des aufgeladenen Begriffs „ändern“. Möglicherweise um eine Entmythologisierung hipper metropolitaner Szene-Codes geht es dann auch in den Texten der Songs „Theater“ und „Sei mein Plus Eins“. Friebe singt: „Du musst heute Nacht nicht mit mir auf die Vernissage gehen“. Klar, muss man nicht. Auch nicht in einen weiteren neuen Club und so fort. Und eigentlich ist auch das Geschäft mit der Gästeliste für Konzerte und Clubbesuche nur noch zum Gähnen. Gleichwohl ist nur hip, wer draufsteht. So wird ein Satz wie „Sei mein Plus Eins“ für manche Begleitung tatsächlich zum Liebesbeweis.

Der Berliner Friebe wäre nicht Jens Friebe, wenn er dieses Textspiel nicht auf eine Weise spielen würde, die mehrere Deutungen offen lässt: Er belächelt die urbanen Mythen mit einer gewissen Müdigkeit, besingt sie betont schlaff und mit melancholischem Ennui. Singt sie aber nicht in Grund und Boden, schanzt ihnen im selben Maße, wie er sie profanisiert, eine ordentliche Portion Glamour zu, indem er sie nicht in Frage stellt, sondern besingt, was der Fall ist. Dazu kommen ein straight gespieltes Schlagzeug, treibende Beats, Chanson-Melodien mit wahrhaft süffigen Hooklines – und man ertappt sich beim Mitsingen von Hymnen, deren Gehalt doch gerade in der Ambivalenz aufgeht, sich gegen die Eindeutigkeit des Hymnenhaften zu sträuben – zumindest auf Textebene.

■ Fr, 3. 12., 21 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66