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Archiv-Artikel

„Die haben Angst“

Die Unfallserie im Elbtunnel reißt nicht ab. Am Donnerstag ist wieder ein Bus verunglückt. Ein Interview mit dem Sicherheitswissenschaftler Dietrich Ungerer von der Uni Bremen über die Risiken des Tunnelfahrens

taz: Herr Ungerer, wie gefährlich ist es, im Tunnel zu fahren?

Dietrich Ungerer: Was sich bei der Einfahrt in den Tunnel völlig ändert, ist die visuelle Situation. Draußen ist es hell, und jetzt fahren wir in einen dunklen Bereich hinein, der seine Einschränkungen hat. Denken Sie an die Peripherie, der Seitenblick ist nicht so ausgeweitet, das Gesichtsfeld ist kleiner. Wir haben Rückleuchten vor uns, damit beginnt ein weiteres Problem, das wir bei Dunkelheit haben, dass die Entfernungen nicht unbedingt richtig eingeschätzt werden. Und dann gibt es die Unarten, etwa, dass die Fahrer in den Tunnel mit Sonnenbrille hineinfahren.

Das ist natürlich nicht zu empfehlen.

Auf keinen Fall! Dazu kommt ein Faktor, der meistens nicht gesehen wird: Es gibt Tunnelfahrer, die haben schlicht und einfach Angst. Da ist ein hohler Raum, gewissermaßen. Sie haben einen visuellen Entzug, und dieser Entzug ist nicht gerade gehirnfreundlich. Der Entzug führt dazu, dass man einen relativ hohen Stresspegel bekommt. Entzug bedeutet ja, da ist was weg, da fehlt uns was.

Und das löst Angst aus?

Das löst Angst aus. Denen fehlt die Übersicht, und wenn man die Übersicht verliert, ist ein Zustand gegeben, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, dass er versucht, so schnell wie möglich aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Und was machen sie? Sie geben Gas.

Sie sagen, im Tunnel wird es enger. Ist enger nicht übersichtlicher?

Übersichtlicher schon, bezogen auf das, was vor uns abläuft. Aber die Eingrenzung führt dazu, dass uns das Gewohnte an der Seite fehlt. Und das ist das Problem, diese Verengung des Gesichtsfeldes, die zum Beispiel auch bei Hochstress auftritt. An der Peripherie fehlen Dinge, und das führt dazu, dass nicht nur Stress entsteht, sondern auch Angst. Dazu kommt, dass die Fahrer die Umgebung als nicht gerade freundlich wahrnehmen.

Aber der Elbtunnel geht doch, oder?

Ja, der geht, dass ist ein sauberer Tunnel.

Und trotzdem passieren da diese Unfälle.

Ich kenn‘ den neuesten Sachstand nicht. Was ist da jetzt passiert?

Ein Sattelschlepper ist zu schnell gefahren und hat einen LKW auf einen Linienbus gedrückt.

Sehen Sie, zu schnell! Sie fahren zu schnell, Sie wollen sich so schnell wie möglich aus der Lage befreien, die eng auf Sie wirkt.

Hat das was mit Klaustrophobie zu tun?

Wenn einer dazu veranlagt ist, dann kann das mitwirken. Der kriegt Probleme mit der Atmung, und bei so jemandem steigt bei der Tunnelfahrt das Risiko.

Was würden Sie empfehlen?

Bei extremen Angstzuständen sage ich: Fahrerwechsel.

INTERVIEW: DANIEL WIESE