Erfolgsgeschichte

STADT UND THEATER Wer selber spielt, sieht gerne zu: Die Bürgerbühne Dresden ist ein Haus für alle. Denn das Publikum findet sich nicht nur im Parkett, sondern auch auf der Bühne ein

Wer einmal bei der Bürgerbühne mitgemacht hat, geht danach dreimal so häufig ins Theater

VON BARBARA BEHRENDT

„Im Theater geht’s nicht um Gewinnen und Verlieren, wir machen einfach coole Sachen zusammen. Das macht mehr Spaß als ein Sportverein.“ Dieser Satz eines 12-jährigen Dresdners müsste jedem Intendanten die Tränen in die Augen treiben: Da geht ein Jugendlicher zweimal die Woche freiwillig ins Theater – und er sieht nicht mal wie ein Streber aus, sondern wirkt wie ein aufgeweckter Typ.

Vor dem Theatersehen stand bei Dominik Frick das Theaterspielen. Er machte bei einer Inszenierung der im letzten Jahr gegründeten Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden mit und steht nun bei „Eins, zwei, drei und schon vorbei“ auf der Bühne. Am Wochenende hatte die Produktion von Regisseur Uli Jäckle Premiere. Es ist ein Stück „vom Anfang und Ende der Dinge“, das Jäckle mit Senioren und Kindern entwickelt hat. Alles, was auf der Bühne gesprochen wird, stammt aus Gesprächen mit den Darstellern.

Daraus sind kleine Szenen entstanden, in denen sich die Alten und die Jungen neugierig betrachten. Die Hollywood-Träume einer Achtjährigen stehen neben den Erinnerungen einer alten Dame an ihr achtes Lebensjahr im Fliegerbunker. Es ist ein Abend, der anrührt, weil die Wahrhaftigkeit, mit der sich die Senioren freispielen und die Kinder träumen, eben nicht behauptet ist.

„Die Idee ist, Theater als öffentliche Plattform der Menschen dieser Stadt zu begreifen“, erklärt Miriam Tscholl, die Leiterin der Bürgerbühne. Mit Intendant Wilfried Schulz entwickelte sie deren Konzept: „Wir möchten möglichst unterschiedliche Menschen ansprechen“, sagt sie, „und nicht jedes Mal Dokumentartheater à la ,Rimini Protokoll‘ kopieren.“ Deshalb stehen auch bekannte Texte auf dem Spielplan. „Jugend ohne Gott“ beispielsweise und Elfriede Jelineks Erfolgsstück „Die Kontrakte des Kaufmanns“, bei dem Teile des Bürgerchors dabei sind, den der Regisseur Volker Lösch hier 2003 gründete.

Die Bürgerbühne ist eine Erfolgsgeschichte: Im letzten Jahr wirkten 400 Dresdner bei den sechs Inszenierungen mit. Es hätten noch mehr sein können: Allein für das Jugendprojekt „Die Nibelungen“ bewarben sich 260 Jugendliche. Wenn das so weitergeht, stand bald jeder Dresdner auf der Bühne. Insgesamt gab es 79 Vorstellungen mit über 80 Prozent Auslastung – und das Musical „Anatevka“ spielen die 28 Laien mit den Dresdner Kapellsolisten im großen Haus. Das hat rund 800 Plätze und ist bei „Anatevka“ fast ausverkauft: Schließlich könnte man das selbst sein, der da oben singt. Mit professionellen Schauspielern würde das Musical flach wirken –die Laien lassen dagegen eine Brüchigkeit durchscheinen, die ihren Reiz hat.

So wie bei Dominik Frick läuft es auch bei anderen Mitwirkenden: Wer bei der Bürgerbühne mitgemacht hat, geht dreimal so häufig ins Theater. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, doch selbst, wenn das Ergebnis nur auf ein Viertel der Laien zutrifft, ist das eine beeindruckende Zahl. Natürlich: Das Theater zieht sich damit, ganz eigennützig, sein Publikum heran. Eine geschickte Marketingstrategie, könnte man sagen, „eine Win-Win-Situation“, nennt es Uli Jäckle. Denn während andere Theater diskutieren, welches Plakat man an die Litfaßsäule klebt und wie man bei Facebook auf sich aufmerksam macht, hat Dresden den direkten Weg gewählt: Es bindet die Leute ins Spiel ein.

„Man holt das Theater zurück auf den Boden, wo es hingehört“, sagt Jäckle, der fast immer mit Laien arbeitet. Er sieht die Bürgerbühne als „Zukunftsprojekt, das es an keinem anderen Haus gibt“. Was nicht bedeuten soll, dass bald nur noch Laien spielen: „Warum muss es bei dem Thema die Bürgerbühne sein? Diese Frage müssen wir jedes Mal beantworten können“, meint Miriam Tscholl. Ein Projekt, wie es Melanie Hinz mit „FKK“ entwickelt hat, bei dem sich Dresdnerinnen über ihr Frausein Gedanken machen, wäre mit professionellen Schauspielern schlichtweg uninteressant.

Aber was bedeutet es theaterästhetisch, wenn Themen mit Laien derart politisch korrekt aufbereitet werden, wie beim Schiller-Projekt „Dieser Kuss der ganzen Welt“? Thema: Integration. Ausgeschrieben „für Dresdner mit einer Herkunft aus anderen Ländern oder Dresdner, die Verwandte oder Freunde in anderen Ländern haben“. Auch hier geht es darum, neue Zielgruppen fürs Theater zu gewinnen. 46 Leute kamen zum Auswahlworkshop, 18 dürfen nun mitmachen. Keiner von den Mitspielern mit Migrationshintergrund ist regelmäßiger Theatergänger, und man kann davon ausgehen, dass sie nach der Premiere im Juni zumindest häufiger im Publikum sitzen als heute.

Um die Inszenierung geht es nur zur Hälfte, wichtiger ist das, was der Probenprozess mit den Spielern macht. Es mag sein, dass dabei keine ästhetisch bemerkenswerten Arbeiten entstehen. Aber man besinnt sich darauf, was Theater eben auch ist: Ein ständiges Infragestellen der eigenen Wirklichkeit.