: Wie der Hauptmann von Köpenick
Jeder hat das Recht auf ein eigenes Bankkonto. Doch in Wahrheit wird es Mittellosen von zahlreichen Banken verweigert. Bundesweit hat eine halbe Million Menschen kein eigenes Bankkonto. Schuldnerberater beklagen erhebliche Mängel
VON MIRKO HEINEMANN
Seit Jürgen Felten* arbeitslos geworden ist, geht es bei ihm finanziell stetig bergab. „So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie das Geld auf dem Konto weniger wurde“, erzählt Felten. Eines Tages ist es so weit: Der Geldautomat behält die EC-Karte ein. Mietschulden nehmen überhand, das Konto wird gepfändet, worauf die Bank es kündigt. „Wer stellt denn jemand ein, der nicht mal ein Bankkonto hat?“, fragt er resigniert. Bei seiner Hausbank, wo er versucht, ein neues Konto zu eröffnen, wird er freundlich, aber bestimmt abgewiesen.
Die Geschichte erinnert an den Hauptmann von Köpenick: Kein Konto, keine Arbeit. Keine Arbeit, kein Konto. Jürgen Felten ist kein Einzelfall. Verlässliche Zahlen gibt es zwar nicht, aber in Berlin beispielsweise besitzen nach einer Erhebung der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e. V. (LAG) mindestens 11 Prozent aller Empfänger von staatlichen Hilfsleistungen kein eigenes Girokonto. In Zahlen: 33.516 Berliner Haushalte sind ohne Konto, die Dunkelziffer soll allerdings weit höher liegen. Denn viele Sozialämter überweisen zum Beispiel die Miete ohne den Umweg über den Hilfsempfänger direkt an den Vermieter. Bundesweit besitzt schätzungsweise eine halbe Million Menschen kein eigenes Bankkonto. Unklar ist, wie viele Betroffene von Banken abgewiesen wurden und wie viele aus buchhalterischen Gründen eine Kontoführung bewusst vermeiden.
Um die Situation für Mittellose zu entschärfen, gibt es seit 1995 die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses (ZKA), in dem die Vertreter der fünf kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände organisiert sind. Danach sollen Kreditinstitute, die Girokonten für alle Bevölkerungsgruppen führen, für jeden Verbraucher auch ein sogenanntes Girokonto für jedermann bereithalten. Das Konto muss keine Extras wie EC-Karte oder Kreditkarte umfassen, sondern soll ausschließlich die „Möglichkeit zur Entgegennahme von Gutschriften, zu Barein- und -auszahlungen sowie zur Teilnahme am Überweisungsverkehr“ bieten. Das Girokonto für jedermann ist ein reines Guthabenkonto, Überziehungen muss die Hausbank nicht zulassen.
Zusätzlich zu dieser Selbstverpflichtungserklärung gibt es speziell für die Sparkassen in zehn Bundesländern den so genannten Kontrahierungszwang. Der garantiert Verbrauchern – sofern kein Unzumutbarkeitsgrund vorliegt – auch mit negativem Schufa-Eintrag das Recht auf ein Girokonto auf Guthabenbasis. „An die Vorgaben halten sich aber auch die Sparkassen derjenigen Länder, in denen kein Kontrahierungszwang herrscht“, erklärt Silvia Frömbgen, zuständige Referentin beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). „Sie verstehen es als Teil des öffentlichen Auftrags, den die Sparkassen haben.“ Und der enthält auch die Verpflichtung, die Grundversorgung aller Bevölkerungsschichten mit Finanzdienstleistungen sicherzustellen.
Es scheint aber in der Praxis vorzukommen, dass sich Banken wie auch Sparkassen nicht an ihre Selbstverpflichtung halten. Marius Stark, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände, stellt jedenfalls „erhebliche Mängel“ bei der Umsetzung der ZKA-Empfehlungen fest. Oft werden Unzumutbarkeitsgründe angeführt, ohne nähere Erläuterung. 2004 verabschiedete der Bundestag eine Entschließung, nach der unter anderem die Banken Kontokündigungen und Ablehnungen von Neukonten schriftlich begründen und dabei auf die kostenlose Inanspruchnahme der Schlichtungsstelle verweisen sollen. 2005 empfahlen die Spitzenverbände der Kreditwirtschaft ihren Instituten den Einsatz eines extra entwickelten Formblatts, falls Kontobewerber abgelehnt oder bestehende Konten gekündigt werden. Auf diesem Formblatt wird auch auf die zuständige Schlichtungsstelle verwiesen. Damit hat die Kreditwirtschaft die Vorgabe der Bundestagsentschließung erfüllt. Dennoch teilte am 1. März 2006 der Arbeitskreis Girokonto der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung mit, „nichts“ sei geschehen.
In ihrem im Sommer veröffentlichten Bericht stellt die Bundesregierung fest, dass immer noch Defizite bei der Umsetzung der ZKA-Empfehlungen bestehen. Zwar gibt es die Möglichkeit, nach einer Absage eine Schlichtungsstelle aufzusuchen, um dort den Fall zu schildern und das Girokonto für jedermann einzufordern, doch bei den nicht dem Kontrahierungszwang unterliegenden Banken, so stellt der Bericht fest, bleiben Beschwerden einfach erfolglos.
Wo das hinführt, das hat der „Arbeitskreis Girokonto“ herausgefunden. Er sammelte Absagen von Kundenberatern, mit denen sie Arbeitslose bei dem Versuch der Kontoeröffnung abgewimmelt haben. Ein häufig gehörter Spruch lautete demnach: „Gehen Sie doch zur örtlichen Sparkasse. Denn die sind für Leute wie Sie zuständig.“
*Name geändert