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Archiv-Artikel

„Sie sind verzweifelt“

Auch in der Macho-Welt der Bundesliga gibt es schwule Profis. Rainer Schäfer vom Fußballmagazin „Rund“ hat das Vertrauen homosexueller Spieler gefunden und berichtet über deren Probleme

INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Herr Schäfer, was hat Sie bewogen, sich mit dem Thema Homosexualität im Profifußball zu beschäftigen?

Rainer Schäfer: Bereits vor zwei Jahren haben wir in diese Richtung recherchiert. Seitdem hat sich Homophobie im Fußball zu einem beliebten Medienthema entwickelt. Im Stadion aber hat sich die schwulenfeindliche Atmosphäre überhaupt nicht geändert. Das ist für uns in den vergangenen zwei Jahren auch der Grund gewesen, das Thema weiter zu verfolgen.

Wie geht denn der Deutsche Fußball-Bund mit diesem Thema um?

Wenn der DFB Homophobie in seinen Strafenkatalog aufnehmen würde, dann müsste er wahrscheinlich jedes zweite Spiel abbrechen. Der DFB ist bei anderen gesellschaftspolitischen Themen wie Rassismus oder Integration von Ausländern im Fußball für seine Verhältnisse recht aktiv. Aber was das Thema Homophobie angeht, schaltet er auf Durchzug.

Wie haben denn die Profis auf Ihre Recherche reagiert?

Sehr abweisend. Auch Spieler, die dafür bekannt sind, dass sie liberale Geister sind und sich sozial engagieren, wissen von nichts und wollen von nichts wissen. Es gibt ja die These, dass es Schwule gar nicht in die Fußballszene schaffen können, weil sie zu weich sind oder weil der Fußball zu hart ist.

Das wissen Sie aber mittlerweile besser?

Wir wissen definitiv, dass es Spieler gibt, die sich im Profifußball durchsetzen, die alles versuchen, eine Scheinexistenz aufzubauen. Keiner der Profis, mit denen wir gesprochen haben, würde es wagen, sich zu outen. Manchmal hört es sich fast absurd an, wenn man erfährt, dass ein Spieler heiratet, eventuell auch Kinder hat, nebenbei aber noch mit einem Partner zusammenlebt. Oft weiß auch die Frau nichts von dieser Doppelexistenz.

Wie kommen die Spieler damit zurecht?

Wir haben auch einen Sportpsychologen befragt, der seit Jahren homosexuelle Spieler berät, die genau wegen dieser Probleme zu ihm kommen. Zum einen weil sie Angst haben, sich zu outen, zum anderen weil sie das Bedürfnis haben, sich mitzuteilen. Die Spieler sind verzweifelt. Sie haben Probleme, im Alltag zurechtzukommen und vor allem auch ihre Leistung zu bringen. Es geht darum, sich so zu kontrollieren, dass man die Profizeit durchsteht.

Ist diese Heimlichkeit unvermeidbar?

Man kann es keinem empfehlen, sich zu outen. Das Medieninteresse und die Folgen wären nicht abzusehen. Wir wissen von einem Journalisten, dem von einem großen Boulevardblatt zweimal eine sehr beachtliche Summe angeboten wurde, wenn er einen Spieler zwangsouten würde. So ist das Medieninteresse gelagert.

Wie gehen die Klubs mit dem Thema Homosexualität um?

Die Spieler werden mit ihren Problemen allein gelassen. In den Klubs wissen die Mitspieler in der Regel nichts davon. Obwohl es in den Vorstandsetagen der Bundesligen mindestens zwei homosexuelle Funktionäre gibt, bekommen die Spieler in der Regel keine Unterstützung. Wir haben bei allen 36 Vereinen der ersten und zweiten Liga angefragt, ob sie sich offensiv gegen Homophobie einsetzen würden. Gerade einmal 7 haben positiv reagiert.

Schwule Fußballfans kann man so doch nur schlecht an einen Verein binden.

Die schwul-lesbischen Fanclubs in Deutschland stagnieren. Die sind teilweise desillusioniert. In England ist man da weiter. Der englische Verband hat den Kampf gegen Homophobie schon 2001 in die Satzung aufgenommen. Es kam sogar schon zu Verhaftungen im Stadion, Bewährungsstrafen wurden ausgesprochen. Manchester City hat sich als „gay friendly club“ deklariert. Im Vergleich dazu ist man in Deutschland noch sehr weit zurück.

Wie haben Sie bei Ihrer Recherche das Vertrauen der Spieler gefunden?

Dadurch dass wir schon einmal gezeigt haben, dass es unsere Absicht ist, aufzuklären, gegen die Diskriminierung von Homosexuellen im Fußball vorzugehen, ist es uns leichter gefallen, auf die Spieler zuzugehen. Das ganze Projekt hat ganz klar aufklärerischen Charakter. In der Szene ist bekannt, dass wir kein voyeuristisches Interesse haben und nicht darauf aus sind, Namen zu nennen oder jemanden gar zwangszuouten.

Lösen Sie nicht gerade auch wegen dieser vorsichtigen Herangehensweise Spekulationen aus?

Gewisse Namen schießen ohnehin durch die Öffentlichkeit. Wir erwähnen zum Beispiel auch einen langjährigen Bundesligaprofi, der in jedem schwul-lesbischen Fanclub, auch von Journalistenkollegen, als hundertprozentig schwul angesehen wird. Ich habe mit ihm telefoniert. Der ist aus allen Wolken gefallen, wollte überhaupt nicht in diesem Kontext erwähnt werden.

Gibt es einen Bundesligaprofi, der als Ikone für die schwule Szene taugen würde?

In Italien gibt es so einem Fall. Der Nationalspieler Alberto Gilardino vom AC Mailand wurde vom italienischen Schwulenverband regelrecht zur Ikone aufgebaut. Gilardino selbst hat gesagt, dass ihn das ehrt, dass ihn das freut, und hat sich in diesem Kontext eindeutig gegen Diskriminierung von Homosexuellen in der Gesellschaft positioniert. Und er hat gleichzeitig darauf hingewiesen, dass er heterosexuell ist. Das ist eine Botschaft, die man in Deutschland nicht vernehmen wird.

Was würde sich ändern, wenn sich ein homosexueller Profi nach seiner Karriere outen würde?

Auch das müsste eine äußerst starke Persönlichkeit sein. Die sehe ich noch nicht. Selbst wenn ein Spieler auf uns zukommen und zu uns sagen würde, ich will mich jetzt über Rund outen, wir hätten den Namen nicht veröffentlicht. Ich weiß nicht, was los wäre, wenn sich der erste schwule Profi outen würde.