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Archiv-Artikel

Ausgelöschte Baumeister

NS-GESCHICHTE Wolfgang Hagspiels Studie über Kölns jüdische Architekten ist eine Pionierarbeit

Köln ist die erste Stadt, über die es eine Studie zu ihren jüdischen Baukünstlern gibt

VON ANNETTE BUSSMANN

Gemessen an Auschwitz sei das KZ Buchenwald „ein Sanatorium“ gewesen, sagte der Kölner Architekt Helmut Goldschmidt (1918–2005). Auf 35 Kilo abgemagert, überlebte er Auschwitz und Buchenwald. Der promovierte Kölner Kunsthistoriker Wolfram Hagspiel hat Goldschmidt und seinen größtenteils vergessenen Leidensgenossen die umfangreiche Studie „Köln und seine jüdischen Architekten“ gewidmet. „Gedenkbuch“ nennt er sie genügsam. Dabei hat er Pionierarbeit geleistet.

Warum ein Buch über die jüdische Architektenschaft einer Stadt? Ghettoisiert das die Betroffenen nicht erneut? Sollte es überhaupt eine Rolle spielen, dass Fritz Beermann (1856–1928), leitender Ingenieur der Kölner Hohenzollernbrücke, Inbegriff preußisch-wilhelminischer Baukultur, jüdischen Glaubens war? Das Thema dieses Buches wäre „ohne die Shoah wohl nie aufgegriffen worden“, schreibt Hagspiel. Die „verhängnisvolle Geschichte“ habe vielen jüdischen Baumeistern eine „publizistische Wertschätzung“ versagt. Befremdlich lange wütete in Hagspiels Zunft die „Unfähigkeit zu trauern“, wie Margarete und Alexander Mitscherlich den Unwillen zur NS-Aufarbeitung nannten. Erst fünf Jahre ist es her, dass Myra Warhaftigs Lexikon „Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933“ den Glauben sprengte, bis 1945 habe es kaum erfolgreiche deutsch-jüdische Architekten gegeben.

Ganze Arbeit

Dass ausgerechnet Köln nun die erste Stadt ist, über die es eine tiefer gehende Studie zu ihren jüdischen Baukünstlern gibt, ist verwunderlich – die meisten jüdischen Architekten wirkten bis 1933 in Berlin. Zugleich ist es erfreulich, denn erschreckend lange klebten viele Kölner an der von Konrad Adenauer gehätschelten Mär, die Stadt habe sich dem Nationalsozialismus beharrlich widersetzt.

Hagspiels Buch geht weit über ein Lexikon hinaus. Der Autor listet nicht bloß alphabetisch geordnet das Oeuvre der Architekten auf, sondern beleuchtet zugleich das Schicksal der Angehörigen und Bauherren. Fast wünscht man sich weniger Akribie. Denn die geballte Ladung NS-diktierter Lebensläufe ist schwer zu verkraften. So mögen manche glauben, die Nazis hätten dem Hohenzollernbrücken-Erbauer Beermann nichts anhaben können, denn er starb bereits 1928. Doch Hagspiel legt frei, dass die Nazis seine ganze Familie auslöschten.

Berührt von einer Begegnung mit Nachkommen jüdischer Architekten, beschloss Hagspiel vor 15 Jahren, das „Schicksal aller in Köln tätigen jüdischen Architekten einmal in einem größeren Zusammenhang darzustellen“. Historisch weit zurückgehen musste er dazu nicht: vom Mittelalter bis zur französischen Besatzung 1794 war es Juden untersagt, sich in Köln anzusiedeln. Hagspiel musste sich dennoch durch ein unglaubliches Konglomerat von Listen und Schriften wühlen, um am Ende – noch bevor das Kölner Stadtarchiv im März 2009 einstürzte – vor einem traurigen Ergebnis zu stehen: NS-Deutschland leistete „ganze Arbeit“. Lediglich 43 Architekten hinterließen sichtbare Spuren, darunter als einzige Frau die Innenarchitektin Bertha Sander (1901–1990).

Mindestens sechs jüdische Architekten Kölns ermordeten die Nazis. Drei trieben sie in den Freitod. Von drei weiteren verliert sich jede Spur. Und selbst die wenigen, die entkamen, waren lebenslang gezeichnet. Georg Falck (1878–1947), einst „Hausarchitekt“ der Leonhard Tietz A. G., entwarf von Köln bis Breslau vielgepriesene Kaufhausfassaden. Bis 1933 gehörte er zur deutschen High Society, empfing auf seinem Wohnsitz die kapitalen Industriellen der Nation. Plötzlich aber durfte er kein Deutscher mehr sein. Falck überlebte die NS-Diktatur im niederländischen Versteck. Er hatte zwar ein Visum für die USA, doch das verbrannte, als die deutschen Rotterdam bombardierten. Im Jahr 1946 ging Falck nach New York, wo er fünf Monate später starb. Als „seelisches und körperliches Wrack“, wie Hagspiel ergänzt.

Bürsten verkaufen

Ohne lukrative Kontakte konnten im Exil selbst Multitalente nur mühsam bestehen. Robert Stern (1885–1964) war bis 1933 einer der gefragtesten Architekten Westdeutschlands. Spielerisch meisterte er von der historisierenden Synagoge bis zur hypermodernen Ladenfassade eine ganze Litanei von Bauaufgaben. Doch als er 1938 nach New York kam, interessierte sich niemand für ihn. Im Gegensatz zu seinem nichtjüdischen Kollegen Walter Gropius, der als Exilmusterknabe verlobhudelt wird, durfte Stern dort keine Pläne zu neuen Wolkenkuckucksheimen feilbieten. Er verkaufte Bürsten.

Hagspiels Buch war überfällig. Wohltuend sachlich kämpft sich der Autor durch einen blinden Fleck der Architekturgeschichte. Er widersteht der Verlockung, das Leid, das Nazi-Deutschland jüdischen Baukünstlern zufügte, mittels posthumer Überhöhung zu kompensieren. Sicherlich, ergiebigere Details zu jüdischen Künstlern im NS-Staat und im Exil, zur jüdischen Geschichte Kölns hätten nicht geschadet. Substanziell aber quält am Ende nur eine Frage: Warum wählt Hagspiel keine durchgehend politisch akzeptable Sprache? NS-Termini wie „Machtergreifung“ oder „Mischehe“ möchte man in einem Buch dieses Anspruchs nicht lesen, und wenn dann höchstens in Anführungszeichen.

Wolfgang Hagspiel: „Köln und seine jüdischen Architekten“. J. P. Bachem Verlag, Köln 2010, 464 Seiten, 69,95 Euro