Der nächste Deppentest

ERSTE LIGA Vor dem Derby gegen Hoffenheim geht beim VfB Stuttgart die Angst um. Trainer Keller gilt nur als Übergangslösung

Wenig spricht dafür, dass dem Team ein Leistungssprung gelingen könnte wie in der letzten Runde

AUS STUTTGART ELKE RUTSCHMANN

Die Sonne scheint in Stuttgart und taucht die Schneelandschaft rund um die Mercedes-Benz-Arena in ein schon fast kitschiges Postkartenidyll. Die Maschinen der Bauarbeiter stehen still. Kälte und Eis unterbrechen dieser Tage den Umbau des Stadions, das Mitte kommenden Jahres die Umwandlung in eine reine Fußballarena vollzogen haben wird.

Bei den Fans geht jedoch die Angst um, dass der Gegner nach der Einweihung womöglich FSV Frankfurt oder VfL Osnabrück heißen könnte, beides Klubs, die im Moment in der Zweiten Liga spielen. Auch die Vereinsführung wirkt angespannt und sagte die Weihnachtsfeier für die Profis ab, weil man laut Erwin Staudt als Tabellensiebzehnter nichts zu feiern habe. 11 Punkte hat das Team von Jens Keller in 14 Spielen gesammelt. Und auch die Freude, dass der VfB als Gruppenerster in der Europa League im Rückspiel der Zwischenrunde Heimrecht besitzt, trat in den Hintergrund vor der Hürde, die heute wartet: 1899 Hoffenheim.

Als „Ausnahmezustand“ bezeichnet der Präsident die aktuelle Situation. Ähnliche Worte gebrauchte er allerdings schon, als Trainer Christian Gross nach dem siebten Spieltag entlassen und durch dessen Assistenten Jens Keller ersetzt wurde.

Acht Punkte sind seit dem Wechsel hinzugekommen. An der prekären Situation des Klubs hat sich wenig geändert. Die Furcht vor dem Abstieg, der Zweifel an der Stabilität des Kaders und an der Kompetenz von Jens Keller werden größer. Und es gibt durchaus beängstigende Parallelen zur Hertha aus Berlin, bei der man sich auch lange nicht vorstellen konnte, dass der Klub absteigen könnte: umstrittene Schiedsrichterentscheidungen, viele Verletzte, markante Profis wurden nicht ersetzt und ein Managerwechsel im Sommer. In den verbleibenden Spielen gegen 1899 Hoffenheim, Hannover 96 und Bayern München muss man punkten, um in der Tabelle wenigstens ein Schrittchen aus der bedrohten Zone zu machen. Doch dagegen sprechen die bisherige Unbeständigkeit und Anfälligkeit des Teams.

Nach der 2:4-Niederlage am Donnerstag in Bern sprach Georg Niedermeier von „einer angespannten Atmosphäre“ in der Mannschaft. Die vielen Niederlagen zerren an den Nerven. Auch Jens Keller ist es bislang nicht gelungen, eine entsprechende Hierarchie aufzubauen und Undiszipliniertheiten von Zdravko Kuzmanovic (ging in Hamburg nicht in die Fankurve) oder Ciprian Marica (Schiedsrichterbeleidigung) zu unterbinden. Auf eine ähnlich zauberhafte Rückrunde wie in den vergangenen Jahren darf und will sich im Roten Haus in Cannstatt niemand verlassen. Wenig spricht dafür, dass dem Team ein ähnlich imposanter Leistungssprung gelingen könnte wie in der vergangenen Runde, als man zur besten Formation der Rückserie avancierte.

Diesmal scheint der Effekt des Trainerwechsels früh verpufft zu sein. Drei Niederlagen, zwei Remis und zwei Siege stehen in Kellers Statistik. Als Spieler hat der 40-Jährige so manchen Abstiegskampf bestritten. Als Trainer ist er ein Novize. Der Coach hat es allerdings nicht zu verantworten, dass der aktuelle Kader ziemlich wahllos zusammengestellt wurde. Intern wird Keller als Zwischenlösung gehandelt. Man hofft, mit ihm die Runde irgendwie zu überstehen, und träumt davon, im Sommer dann eine große Lösung präsentieren zu können. In das Profil vom Perspektivcoach passt Robin Dutt vom SC Freiburg oder Michael Skibbe von Eintracht Frankfurt. Es ist jedoch fraglich, ob Dutt sein Biotop im Breisgau gegen den als Schleudersitz bekannten Stuhl in Stuttgart tauschen wird, auch wenn seine Familie in der Landeshauptstadt wohnt. Und Skibbe wird sich schwer überlegen, ob er es wagt, eine Mannschaft zu führen, die von einem Hoch ins nächste Tief rutscht.

Im Hier und Jetzt stellt sich jedoch die Frage, was passiert, wenn der VfB bis zur Winterpause nicht mehr punktet. In Bern stellte Keller die Tauglichkeit seiner Spieler infrage. „Es ist schon sehr bedauerlich, welche Aussetzer der eine oder andere hat. Das hat mit Profifußball nicht viel zu tun“, zeterte der Trainer. Heute braucht der VfB im baden-württembergischen Derby gegen 1899 Hoffenheim schon ein perfektes Spiel, um die Gemüter zu beruhigen. Viele Augen werden auf Sebastian Rudy gerichtet sein. Nach nur 15 Einsätzen in zwei Jahren ließ er sich im Sommer von Stuttgart nach Hoffenheim locken und erkämpfte sich einen Stammplatz. Trainer Ralf Rangnick hält ihn für eines der größten Talente. Nur sein erstes Saisontor ist ihm noch nicht gelungen. Sollte er gegen den VfB treffen, dürfte sich Fredi Bobic nur ungern an diesen Satz erinnern: „Wenn Rudy in Hoffenheim explodiert, dann sind wir hier die absoluten Deppen.“