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Archiv-Artikel

Die Hauptschule soll weichen

In einem dramatischen Appell an die 16 Kultusminister fordert Klaus Hurrelmann, Mitautor der Shell-Jugendstudie, das Aus für eine heillos überforderte Schulform

BERLIN taz ■ Er hat so einen Brief schon einmal geschrieben. Das war vor 15 Jahren. Klaus Hurrelmann war damals Jugendforscher und Pädagoge. Er stellte entsetzt fest, dass „im vereinten Bundesgebiet das Schulformenchaos perfekt ist“. Und bat die Kultusminister, „eine einheitliche, übersichtliche Schulstruktur zu schaffen“.

Jetzt betreibt Hurrelmann public health. Das ist Gesundheitsforschung, die präventiv herauszufinden versucht, was die Menschen krank macht. „Der Anteil der sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler an der Population der Hauptschulen wächst ständig weiter an“, warnt Hurrelmann heute. Er fordert, die Hauptschulen aufzulösen, mit anderen Schulformen zusammenzulegen und spezielles Personal bereitzustellen – Sozialpädagogen und Psychologen.

In einem der taz vorliegenden Brief schreibt Hurrelmann an die Kultusminister: „Sie dürfen es nicht länger gestatten, dem knappen Viertel der Schülerschaft, das heute die Hauptschulen besucht, schon von vornherein eine ungünstige oder sogar aussichtslose Ausgangsposition am Ausbildungs- und Berufsmarkt zuzuweisen.“ In der jüngsten Shell-Jugendstudie, die Hurrelmann herausgibt, fand er heraus: Die HauptschülerInnen wissen ganz genau, wo sie sich befinden, und schätzen ihre Chancen entsprechend pessimistisch ein. Jeder Zweite von ihnen ist sich unsicher, ob er seine beruflichen Ziele verwirklichen kann. Drei Viertel der Jugendlichen fürchten sich vor Armut oder Arbeitslosigkeit. Nur die Terrorgefahr bereitet noch mehr Angst.

Hurrelmanns Brief hat den Charme, dass ein Forscher mit viel Erfahrung und einem weiten Spektrum offen ausspricht, was sich etwa Pisa-Wissenschaftler in der Nähe der Kultusminister nicht trauen. Hurrelmanns Botschaft freilich ist alles andere als charmant. Der Hauptschule würden soziale, ethnische und religiöse Integrationsleistungen abverlangt, „die sie mit ihrer heutigen Struktur nicht bewältigen kann“. Hurrelmann sieht resignierte LehrerInnen, frustrierte SchülerInnen und eine schwindende Akzeptanz der Eltern. „Auch der beste Hauptschullehrer kann in dieser Ausgangsposition nichts mehr bewegen“, schreibt der Bielefelder Forscher.

Hurrelmann schlägt vor, neben dem Gymnasium eine Sekundarschule zu errichten, sie besonders gut auszustatten und ihre eine eigene Oberstufe zu geben. CHRISTIAN FÜLLER