: Helft, ihr Schurken!
VON BERND PICKERT
Nicht einmal eine Woche nach den Wahlen, bei denen die Republikaner ihre Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses verloren, ist in die Debatte über die künftige Strategie der USA im Irak mehr Bewegung gekommen als in den dreieinhalb Jahren seit Beginn des Einmarsches. Während führende Demokraten darauf drängen, möglichst bald mit dem Abzug der Truppen aus dem Land zu beginnen, scheint sich zunächst die Idee durchzusetzen, Iran und Syrien in die Suche nach einer Lösung mit einzubeziehen. Josh Bolten, Stabschef im Weißen Haus, sagte, keine Option würde ausgeschlossen, man brauche ganz offensichtlich eine „frische Herangehensweise“. Bislang hatte die US-Regierung einen offenen Dialog mit den beiden „Schurkenstaaten“ stets abgelehnt.
Doch nachdem immer offensichtlicher wurde, dass die überparteiliche US-Kommission zum Irak solche Gespräche fordern würde, und nachdem mit Kommissionsmitglied Robert Gates auch der vermutliche neue US-Verteidigungsminister ein klarer Befürworter der Einbeziehung Irans ist, rückt offenbar auch das Weiße Haus von bisherigen Positionen ab. Die Kommission unter Leitung des ehemaligen US-Außenministers James Baker und dem früheren Abgeordneten Lee Hamilton will bis Jahresende ihren Bericht vorlegen. Erst dann, wenn auch der Kongress in neuer Zusammensetzung tagt, dürften grundsätzliche Entscheidungen fallen. Der alte Senat dürfte bis zu diesem Zeitpunkt allerdings noch Robert Gates als Nachfolger Donald Rumsfelds bestätigen. Die Demokraten haben angekündigt, ihn mitzutragen – schon, damit Rumsfeld früher geht.
Noch vor Präsident George W. Bush hat sich gestern auch der britische Premierminister Tony Blair dafür ausgesprochen, Iran und Syrien in den „Friedensprozess“ im Mittleren Osten einzubeziehen. Der Ausgang des Irakkrieges sei entscheidend für die Friedenssuche in der Region, sagte Blair, und die Welt müsse Syrien und Iran genauso klarmachen, wie sie dabei helfen könnten, wie auch die Konsequenzen, wenn sie das nicht täten.
Unterdessen haben führende demokratische Senatoren am Wochenende ihre Vorstellungen zur weiteren Entwicklung im Irak konkretisiert. Der künftige Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, der künftige Vorsitzende des Militärausschusses, Carl Levin, und der künftige Vorsitzende des Außenausschusses, Joseph R. Biden sagten, ein phasenweiser Abzug der US-Truppen aus dem Irak habe oberste Priorität, wenn der Kongress im Januar erstmals in neuer Zusammensetzung tage. „Innerhalb von vier bis sechs Monaten“ müsse mit dem Abzug begonnen werden, sagte Levin dem Fernsehsender ABC. „Die Bevölkerung hat sich dramatisch, überwältigend und nachdrücklich dafür ausgesprochen, den Kurs im Irak zu ändern“, sagte Levin weiter, „wir müssen den Irakern sagen, dass das Open-End-Engagement vorüber ist.“
Davon hingegen will das Weiße Haus noch immer nichts wissen. „Wir halten nichts von der Idee eines festen Zeitplans für einen automatischen Rückzug, denn das könnte eine Katastrophe für die irakische Bevölkerung werden“, sagte Bolten.
Auch führende Demokraten allerdings drängen nicht auf einen sofortigen Truppenabzug, und trotz einiger gegenteiliger Stimmen aus dem Repräsentantenhaus sind sie sich auch darüber einig, ihre Mehrheit nicht zu nutzen, um Gelder für den Krieg zu streichen.
Es gibt sogar prominente Stimmen für eine Ausweitung des Einsatzes. John McCain etwa, republikanischer Senator und wahrscheinlich Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur 2008, forderte, alles zu unternehmen, um die Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen zu beenden. Ein übereilter Abzug würde das Chaos nur vergrößern – es würden im Gegenteil vermutlich mehr US-Truppen gebraucht als bislang.